Dr. Marion Bernhardt, Stefan Fischer
1. Sinn und Zweck des § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX
Rz. 283
Vor Ausspruch einer Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber nicht nur den BR des Betriebes anzuhören und die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen, sondern auch die Schwerbehindertenvertretung (SBV) zu beteiligen. Seit den Änderungen des Schwerbehindertenrechts zum 1. Januar 2018 durch das Bundesteilhabegesetz ist jede Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers ohne vorherige Unterrichtung und Anhörung der SBV gemäß § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX unwirksam. Das Anhörungsverfahren nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX soll es der SBV ermöglichen, ohne zusätzliche eigene Ermittlungen zu der beabsichtigten Kündigung Stellung zu nehmen, damit der Arbeitgeber Bedenken oder Einwände der SBV bei seiner Entscheidung berücksichtigen kann.
Nicht die Unwirksamkeit der Kündigung hat es zur Folge, wenn der Arbeitgeber "nur" die Mitteilungspflicht nach § 178 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB IX verletzt.
Erforderlich ist objektive Kenntnis des Arbeitgebers von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers. Es ist allerdings umstritten, ob eine Kündigung auch dann unwirksam ist, wenn der Arbeitgeber die Kündigung in Unkenntnis der Schwerbehinderung des Mitarbeiters ohne Beteiligung der SBV ausspricht. Zum Teil wird § 168 SGB IX analog angewandt, wonach der Arbeitnehmer sich auch noch innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung auf die im Kündigungszeitpunkt bereits bestehende Schwerbehinderung berufen kann. Ob dies auch innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX gilt, wenn der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung hat, hat das BAG bislang offen gelassen. Angesichts des Wortlauts des § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX wird man aber auch dann von der Unwirksamkeitsfolge der ohne vorherige Beteiligung der SBV erklärten Kündigung ausgehen müssen. Ist die Schwerbehinderung oder Gleichstellung im Zeitpunkt der Kündigung allerdings noch nicht anerkannt, führt die spätere Entscheidung der Bundesagentur für Arbeit nach § 151 Abs. 2 S.2 SGB IX über eine Rückwirkung der Schwerbehinderung oder Gleichstellung auf den Tag des Antragseingangs nicht zu einer (vorsorglichen) Beteiligungsverpflichtung des Arbeitgebers, da die Rückwirkung erst durch den Bescheid begründet wird und im Zeitpunkt der vor dem Bescheid erfolgten Umsetzung noch nicht eingetreten ist.
2. Anwendungsbereich
Rz. 284
Die Beteiligung der SBV beinhaltet die unverzügliche und umfassende Unterrichtung und Anhörung der SBV sowie die anschließende Mitteilung der Entscheidung (§ 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Die Anhörungspflicht gilt für sämtliche Arten von Kündigungen schwerbehinderter Arbeitnehmer, auch bei Kündigungen in der Probezeit (Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG), wenn die Zustimmung des Integrationsamtes nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX noch nicht erforderlich ist, sowie bei Änderungskündigungen. Auch Kündigungen des Insolvenzverwalters sind erfasst. Nicht erfasst sind sonstige Beendigungstatbestände, wie die Eigenkündigung des Arbeitnehmers, das Auslaufen einer Befristung oder der Abschluss eines Aufhebungsvertrags.
3. Adressat der Beteiligung
Rz. 285
Adressat der Anhörung ist grundsätzlich die örtliche SBV. Besteht in einem Betrieb oder einer Dienststelle keine SBV, ersetzt die Gesamtschwerbehindertenvertretung (GSBV) die örtliche SBV, § 180 Abs. 6 S. 1 SGB IX. Hat das Unternehmen auch keine GSBV, aber eine örtliche SBV in (irgend-) einem anderen Betrieb, dann nimmt diese die Aufgaben der GSBV wahr (§ 180 Abs. 1 S. 2 SGB IX) und ist auch vor jeder Kündigung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers in einem Betrieb ohne SBV anzuhören. Besteht eine Konzernschwerbehindertenvertretung, ist diese anstelle der GSBV als nächsthöhere Stufenvertretung zu beteiligen (§ 180 Abs. 6 S. 2 SGB IX).
Hinweis
Es gibt keine bestimmte Reihenfolge bei der Unterrichtung der unterschiedlichen Gremien. In der Praxis empfiehlt sich aber die gleichzeitige Unterrichtung von BR und SBV.
4. Unterrichtung und Anhörung
Rz. 286
Für die Unterrichtung und Anhörung und Beteiligung der SBV gelten im Wesentlichen die gleichen Grundsätze wie gegenüber dem BR. Somit tritt die Unwirksamkeitsfolge des § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX nicht ein, wenn der Arbeitgeber die SBV vor Ausspruch der Kündigung entsprechend den für die Beteiligung des...