Rz. 59

Zum Verständnis des § 305c Abs. 1 BGB ist vorab zu sagen, dass der hiermit vermittelte Schutz vor Überraschung von der im weiteren Verlauf noch zu diskutierenden Frage der Inhaltskontrolle zu trennen ist. Einer Inhaltskontrolle sind denklogisch nur solche Regelungen zugänglich, die überhaupt Vertragsbestandteil geworden sind. Die Rechtsfolge des § 305c Abs. 1 BGB besteht allerdings schon darin, dass die in diesem Sinne "überraschende" Regelung gar nicht erst Vertragsbestandteil wird. Gleichwohl trennt die Rechtsprechung die beiden Fragen nicht immer klar voneinander.[133]

 

Rz. 60

Einer überraschenden Klausel in diesem Sinne muss nach allgemeiner Meinung ein "Überraschungs- oder Übertölpelungseffekt" innewohnen. Überraschenden Charakter hat eine Regelung dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser auch den Umständen nach vernünftigerweise nicht mit der Klausel zu rechnen brauchte.[134] Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Die berechtigten Erwartungen des Vertragspartners bestimmen sich in diesem Zusammenhang nach den konkreten Umständen bei Vertragsschluss und auch nach der Gestaltung des Vertrags, insbesondere nach dessen äußerem Erscheinungsbild.[135]

 

Rz. 61

Der überraschende Charakter einer Klausel kann sich somit zum einen daraus ergeben, dass die Klausel inhaltlich eine Bestimmung trifft, die generell für den jeweiligen Vertragstypus (z.B. für einen Arbeitsvertrag) völlig unüblich ist oder mit der der Vertragspartner jedenfalls in der aktuellen Situation nicht rechnen musste. Zum anderen kann auch eine inhaltlich wenig überraschende Klausel trotzdem überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB sein, wenn sie an unerwarteter Stelle im Vertrag untergebracht ist oder einen ungewöhnlichen äußeren Zuschnitt aufweist (sog. formale Überraschung).[136] Im Einzelfall ist der Verwender daher nach der Rechtsprechung gehalten, auf die Klausel besonders hinzuweisen oder sie drucktechnisch – durch Unterstreichung, durch Fettdruck o.ä. – hervorzuheben.[137] Ein besonderer Hinweis bzw. eine drucktechnische Hervorhebung ist insbesondere bei den Arbeitnehmer belastenden Regelungen angezeigt.[138] Als Faustregel gilt: Je belastender die Regelung sich für den Arbeitnehmer auswirken kann, desto deutlicher und klarer sollte der Arbeitgeber als Verwender der AGB auf sie hinweisen.

[133] ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn 28 unter Hinweis auf BAG v. 13.7.2005 – 10 AZR 532/04. Zum Verhältnis zwischen Überraschungsschutz und Inhaltskontrolle siehe auch Schaub/Linck, § 35 Rn 24.
[136] BAG v. 19.1.2011 – 10 AZR 738/09, ErfK/Preis, §§ 305–310 BGB Rn 29.

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