Rz. 74
Bei dem in § 305b BGB gesetzlich geregelten Vorrang der Individualabrede handelt es sich um eine Kollisionsregel, die als Rechtsfolge eine Verdrängung Allgemeiner Geschäftsbedingungen bzw. vorformulierter Einmalbedingungen durch individuelle Vertragsabreden vorsieht.
Von Bedeutung ist diese Kollisionsregel insoweit, als die Parteien individuell eine den vorformulierten Regelungen widersprechende Abrede treffen. M.a.W.: Nur soweit die Individualabrede von den AGB-Regelungen abweicht, setzt sie sich nach § 305b BGB diesen gegenüber durch.
Um genau zu bestimmen, ob und in welchem Umfang sich die Regelungen widersprechen und damit die Kollisionsregel des § 305b BGB zu einer Verdrängung führt, ist einerseits der Inhalt der Individualabrede und andererseits der Inhalt der AGB bzw. vorformulierten Einmalbedingungen durch Auslegung zu ermitteln. Soweit sich die Regelungen widersprechen, ist allein auf die dann vorrangige Individualvereinbarung abzustellen. Unbeachtlich ist, ob sich die Vertragsparteien der Abweichung bewusst sind oder ob diese gewollt ist.
Rz. 75
Klarzustellen ist schließlich, dass der Vorrang der Individualabrede auch dann gilt, wenn die Individualabrede einen gegenüber der entsprechenden AGB-Regelung für den Arbeitnehmer ungünstigeren Inhalt aufweist. Das ansonsten im Arbeitsrecht als Kollisionsregelung vielfach zur Anwendung gebrachte Günstigkeitsprinzip gilt hier gerade nicht. Auch die in § 310 Abs. 4 S. 2 BGB enthaltene Regelung, dass bei Anwendung der §§ 305 ff. auf Arbeitsverträge "die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten angemessen zu berücksichtigen" sind, führt hier zu keinem anderen Ergebnis. Diese Regelung verlangt weder mit Blick auf die Frage einer etwaigen Anwendung des Günstigkeitsprinzips noch in sonstiger Hinsicht eine Modifikation des § 305b BGB.
Rz. 76
Nicht unumstritten ist auf der Rechtsfolgenseite letztlich, ob die der Individualabrede widersprechenden AGB nur hinter dieser zurücktreten oder sogar unwirksam werden. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist allerdings eher gering: Ein näheres Eingehen auf sie dürfte nur in besonderen Fällen angezeigt sein, etwa wenn die Vertragsparteien eine vorrangige Individualabrede später einvernehmlich wieder aufheben. Bei Annahme einer Unwirksamkeit der zunächst verdrängten AGB würde hier eine Vertragslücke entstehen, die allerdings nach wohl überwiegender Auffassung regelmäßig wiederum durch einen Rückgriff auf die temporär verdrängte AGB-Regelung zu schließen sein soll.