Rz. 113
Ergibt sich die Unwirksamkeit einer Klausel nicht bereits aus §§ 308, 309 BGB, ist weiter zu untersuchen, ob sie auch einer Überprüfung am Maßstab des § 307 BGB standhält. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB sieht hierzu recht vage vor, dass Bestimmungen in AGB dann unwirksam sind, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen.
Rz. 114
§ 307 Abs. 2 BGB konkretisiert diese Aussage, indem er zwei Situationen beschreibt, in denen im Zweifel eine solch unangemessene Benachteiligung anzunehmen ist. Systematisch ist im Einzelfall das Vorliegen eines Falles des § 307 Abs. 2 BGB vor der Grundregel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zu prüfen. Die Rechtsprechung verfährt zumeist so, dass sie zunächst abstrakt das Vorgehen und die maßgeblichen Aspekte bei einer Überprüfung von AGB am Maßstab des § 307 BGB voranstellt, im Anschluss daran das Eingreifen eines der Tatbestände des § 307 Abs. 2 BGB prüft und erst danach auf die Grundnorm des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB zurückgreift. Gesondert zu prüfen ist weiter schließlich § 307 Abs. 1 S. 2 BGB, nach dem sich eine unangemessene Benachteiligung auch aus einer nicht klaren bzw. unverständlichen Formulierung der Klausel ergeben kann (sog. Transparenzgebot).
Rz. 115
Auch wenn dies nicht ganz der vorstehend geschilderten systematischen Vorgehensweise bei der Überprüfung einer Klausel am Maßstab des § 307 BGB entspricht, soll im Folgenden zur Erleichterung des Verständnisses der Norm zunächst erläutert werden, was das Gesetz unter einer den Geboten von Treu und Glauben widersprechenden unangemessenen Benachteiligung i.S.v. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB versteht bzw. welche Kriterien hier maßgeblich sind. Im Anschluss daran werden die Zweifelsfallregelung des § 307 Abs. 2 BGB sowie das in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB normierte Transparenzgebot erläutert.
a) Benachteiligung des Vertragspartners
Rz. 116
"Benachteiligt" i.S.d. § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ist der Vertragspartner durch eine vertragliche Bestimmung stets dann, wenn seine rechtliche Position ohne die Bestimmung besser bzw. günstiger wäre. Es ist hier also ein Vergleich der Rechtsposition des Vertragspartners mit und ohne die in Rede stehende Klausel vorzunehmen. Potenziell schutzwürdig sind dabei nicht nur speziell gesetzlich geschützte Interessen des Vertragspartners, sondern prinzipiell jedes menschliche Interesse, dessen Verfolgung nicht rechtswidrig ist.
Nicht zu berücksichtigen sind in diesem Zusammenhang allerdings im Grundsatz Interessen der Allgemeinheit und Dritter bzw. eine denkbare Benachteiligung Dritter durch die zur Überprüfung stehende Klausel. Derartige Interessen bzw. Folgen vermögen die von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB geforderte Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders in der Regel nicht zu begründen. In Betracht kommt allerdings eine mittelbare Berücksichtigung der Interessen Dritter: Hat nämlich der Vertragspartner des Klauselverwenders selbst ein rechtlich schützenswertes Interesse an der Schonung der Interessen Dritter, so kann dies für die Anwendung des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB ausreichen.
Etwaige Benachteiligungen des Verwenders sind dagegen ebenso irrelevant wie die Frage, ob der Benachteiligung des Vertragspartners des Verwenders quasi spiegelbildlich ein Vorteil des Verwenders gegenübersteht.
b) Unangemessenheit der Benachteiligung
Rz. 117
Die zentrale Fragestellung im Rahmen des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB besteht regelmäßig darin, ob die Benachteiligung des Vertragspartners des Klauselverwenders auch "unangemessen" ist.
aa) Gebote von Treu und Glauben als eigenständiger Prüfungspunkt?
Rz. 118
Neben diesem Tatbestandsmerkmal setzt der Wortlaut der Generalklausel des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB überdies noch voraus, dass der Vertragspartner "entgegen den Geboten von Treu und Glauben" unangemessen benachteiligt wird. Diese Anforderung erklärt sich vor allem daraus, dass letztlich das gesamte System der AGB-Kontrolle und damit auch die Vorschriften des früheren AGBG sowie die Nachfolgevorschriften der §§ 305 ff. BGB aus § 242 BGB entwickelt wurden. Umstritten ist, ob bzw. inwieweit dem Merkmal "entgegen den Geboten von Treu und Glauben" gegenüber dem Merkmal der "unangemessenen" Benachteiligung überhaupt noch selbstständige Bedeutung zukommt. Zutreffend dürfte es wohl sein, dem Hinweis auf die Gebote von Treu und Glauben keine eigenständige Bedeutung zuzumessen und diese Frage lediglich als Teil der Unangemessenheitsprüfung zu begreifen.
Im Rahmen des Grundsatzes von Treu und Glauben ist auch die sog. Verkehrssitte und damit z.B. auch die Üblichkeit einer bestimmten Regelung im Rechtsverkehr zu berücksichtigen.