Rz. 79
Zweifelhaft erscheint der gesetzlich angeordnete Vorrang individueller Vereinbarungen dann, wenn im (Formular-)Arbeitsvertrag eine einfache oder sogar einer doppelte, qualifizierte Schriftformklausel enthalten ist. Eine einfache Schriftformklausel sieht zunächst nur vor, dass etwaige Änderungen oder Ergänzungen des Arbeitsvertrags in schriftlicher Form vereinbart werden müssen, um wirksam zu sein. Eine doppelte bzw. qualifizierte Schriftformklausel sieht darüber hinaus weiter vor, dass auch eine etwaige Aufhebung oder Änderung der Schriftformklausel selbst nicht etwa durch konkludentes Verhalten oder mündlich Absprache erfolgen kann, sondern ihrerseits wiederum nur dann wirksam ist, wenn sie schriftlich erfolgt.
Rz. 80
Solche Vorschriften können auf den ersten Blick zur Annahme verleiten, dass nicht schriftliche Individualabreden entgegen der zwingenden Vorschrift § 305b BGB gerade keine vorrangige Wirkung entfalten. Nach h.A. kann der Vorrang der Individualabrede jedoch nicht dadurch durchbrochen werden, dass die Wirksamkeit von Individualvereinbarungen rechtsgeschäftlich an die Einhaltung einer bestimmten Form geknüpft wird. Schriftformklauseln, die dies vorsehen, verstoßen insoweit vielmehr ihrerseits gegen § 305b BGB. Nach herrschender Auffassung kann damit weder die einfache noch die doppelte, qualifizierte Schriftformklausel dem gesetzlich angeordneten Vorrang der Individualabrede entgegengesetzt werden.
Der Verstoß gegen § 305b BGB führt im Weiteren sogar dazu, dass zumindest einschränkungslose Schriftformklauseln insgesamt unwirksam sind, da sie vielfach eben ein irreführendes Bild der Rechtslage zeichnen: Wird in der Regelung pauschal und ohne Klarstellung bzw. Einschränkung der Eindruck erzeugt, mündliche oder konkludente Individualabreden würden entgegen § 305b BGB keinen Vorrang vor kollidierenden AGB haben, so ist dies wegen der zwingenden Wirkung des § 305b BGB schlicht falsch. Jedenfalls eine insoweit nicht eingeschränkte Schriftformklausel ist daher nach Auffassung des BAG unangemessen benachteiligend und gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB in AGB unwirksam.
Rz. 81
Nach Auffassung des BAG kann die Regelung auch nicht teilweise insoweit aufrechterhalten werden, als mit ihr lediglich das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindert werden soll: Da eine betriebliche Übung als kollektive Regelung keine Individualvereinbarung i.S.d. § 305b BGB ist, kollidiert der Wunsch einer Verhinderung betrieblicher Übungen zwar nicht direkt mit § 305b BGB, so dass durchaus daran gedacht werden könnte, auch einschränkungslose Regelungen insoweit fortgelten zu lassen. Unter Hinweis auf den irreführenden Inhalt einschränkungsloser Schriftformklauseln und das gesetzliche Verbot der geltungserhaltenden Reduktion erteilt das BAG solchen Versuchen jedoch eine Absage. Die letztlich aus § 305b BGB über den gedanklichen Weg einer irreführenden Aufklärung über die Rechtslage bedingte Gesamtunwirksamkeit kann jedoch verhindert werden, wenn bei Gestaltung der Schriftformklausel ausreichend deutlich und transparent zum Ausdruck gebracht wird, dass die Regelung des § 305b BGB von ihr unberührt bleibt oder ihr Anwendungsbereich von vornherein auf die Verhinderung einer nicht unter § 305b BGB fallenden betrieblichen Übung beschränkt wird. Hiermit entgeht der Klauselverwender dem Vorwurf, dass seine Klausel die Rechtslage irreführend und unzutreffend darstellt.