Rz. 119
Mit der Formulierung des Ziels der Verhinderung unangemessener und gegen Treu und Glauben verstoßender Benachteiligungen verfolgt § 307 Abs. 1 S. 1 BGB den Zweck, einen umfassenden Interessenausgleich zwischen den zumeist gegenläufigen Interessen des Klauselverwenders und seines Vertragspartners herzustellen. Die Wirksamkeitsfrage ist daher auf der Grundlage einer Abwägung der berechtigten Interessen der am Vertrag Beteiligten zu beantworten.
(1) Generell-typisierende Betrachtungsweise
Rz. 120
Anzulegen ist dabei eine generelle, typisierende Betrachtungsweise. Es kommt nicht auf die Interessenlage der Vertragsparteien im konkreten Einzelfall an, abzustellen ist vielmehr auf die typische Interessenlage eines Durchschnittsvertragspartners. Individuelle Besonderheiten, die möglicherweise eine besondere – ggf. auch soziale – Schutzbedürftigkeit des Vertragspartners begründen könnten – z.B. gesundheitliche Beeinträchtigungen oder familiäre Verpflichtungen –, bleiben damit grds. außer Betracht. Ebenso spielt keine Rolle, ob sich die von einer unangemessen benachteiligenden Klausel für den Vertragspartner des Verwenders ausgehenden Gefahren im Einzelfall realisieren oder nicht. Es gilt ein abstrahierter, einheitlicher Prüfungsmaßstab.
Bei der Bildung der relevanten Durchschnittsgruppe und der hierauf aufbauenden typisierenden Betrachtung lässt das BAG in Grenzen allerdings eine gewisse Differenzierung zu: So geht es davon aus, dass die im Rahmen der Angemessenheitskontrolle vorzunehmende Abwägung zu jeweils "gruppentypisch unterschiedlichen Ergebnissen" führen kann, wenn AGB für verschiedene Arten von Geschäften oder gegenüber verschiedenen Verkehrskreisen verwendet werden, deren Interessen, Verhältnisse und Schutzbedürftigkeit generell unterschiedlich gelagert sind. Eine an der Natur der Tätigkeit oder der jeweiligen Branche ausgerichtete Bildung der relevanten Durchschnittgruppe ist damit ebenso denkbar wir eine Differenzierung nach den am Vertrag beteiligten Akteuren.
Rz. 121
Da der Arbeitsvertrag nach h.M. ein Verbrauchervertrag ist, erfährt der Grundsatz der generell-typisierenden Betrachtungsweise allerdings durch § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB eine praktisch wichtige Einschränkung: Nach dieser Vorschrift sind im Falle eines Verbrauchervertrags – abweichend von den allgemeinen Regeln – auch die den Vertragsschluss begleitenden Umstände zu berücksichtigen. Berücksichtigt werden kann danach z.B. das Maß der Geschäftserfahrung, Überrumpelungsmomente im Verlauf der Vertragsverhandlungen, die Intensität der Vertragsverhandlungen, der Umfang der ausgetauschten Informationen sowie dem Verwender offenbarte Informationen, die eine besondere Interessenlage des Vertragspartners begründen. Zu berücksichtigen kann vor allem auch ein konkret-individuelles Verhandlungsungleichgewicht sein, welches sich aus den Umständen des Einzelfalls ergibt und über das für ein Arbeitsverhältnis ohnehin typisches Ungleichgewicht der Verhandlungspositionen noch hinausgeht.
(2) Ermittlung der bestehenden Interessenlagen
Rz. 122
Ausgehend von der im Grundsatz generell-typisierenden Betrachtungsweise sind im ersten Schritt der eigentlichen Angemessenheitskontrolle dann zunächst die jeweiligen Interessen der Vertragsparteien zu erfassen und zu analysieren. In die Betrachtung einzubeziehen sind hierbei alle Interessen der Vertragsparteien, deren Verfolgung rechtlich nicht zu beanstanden ist. In Betracht kommt etwa das Interesse des Arbeitgebers an einer Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen, z.B. durch Änderungs-/Widerrufsvorbehalte oder aber das arbeitgeberseitige Interesse an einer möglichst zügigen Klärung der Rechtslage, welches durch möglichst kurze Ausschlussfristen verfolgt werden kann. Der Arbeitnehmer dagegen wird häufig gegenläufige Interessen dergestalt verfolgen, dass seine Vergütung mindestens stabil bleibt und ihm etwa auch ausreichend Zeit verbleibt, um in Betracht kommende Ansprüche gegen den Arbeitgeber zu prüfen bzw. prüfen zu lassen. Außer Betracht bleiben grundsätzlich die Interessen der Allgemeinheit sowie Interessen konkreter Dritter, soweit deren Berücksichtigung nicht – wie etwa im Fall eines Vertrags zugunsten Dritter – vertraglich veranlasst ist.