Rz. 58
Eine Abweichung von den allgemeinen Regeln und damit eine AGB-rechtliche Besonderheit stellt § 305c Abs. 1 BGB dar, der im dritten Schritt der hier vorgeschlagenen Prüfung zu berücksichtigen ist: Auch wenn sie nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen an sich Bestandteil des Vertrages wären, werden nach dieser Norm solche Bestimmungen in AGB, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil.
1. Allgemeines
Rz. 59
Zum Verständnis des § 305c Abs. 1 BGB ist vorab zu sagen, dass der hiermit vermittelte Schutz vor Überraschung von der im weiteren Verlauf noch zu diskutierenden Frage der Inhaltskontrolle zu trennen ist. Einer Inhaltskontrolle sind denklogisch nur solche Regelungen zugänglich, die überhaupt Vertragsbestandteil geworden sind. Die Rechtsfolge des § 305c Abs. 1 BGB besteht allerdings schon darin, dass die in diesem Sinne "überraschende" Regelung gar nicht erst Vertragsbestandteil wird. Gleichwohl trennt die Rechtsprechung die beiden Fragen nicht immer klar voneinander.
Rz. 60
Einer überraschenden Klausel in diesem Sinne muss nach allgemeiner Meinung ein "Überraschungs- oder Übertölpelungseffekt" innewohnen. Überraschenden Charakter hat eine Regelung dann, wenn sie von den Erwartungen des Vertragspartners deutlich abweicht und dieser auch den Umständen nach vernünftigerweise nicht mit der Klausel zu rechnen brauchte. Zwischen den durch die Umstände bei Vertragsschluss begründeten Erwartungen und dem tatsächlichen Vertragsinhalt muss ein deutlicher Widerspruch bestehen. Die berechtigten Erwartungen des Vertragspartners bestimmen sich in diesem Zusammenhang nach den konkreten Umständen bei Vertragsschluss und auch nach der Gestaltung des Vertrags, insbesondere nach dessen äußerem Erscheinungsbild.
Rz. 61
Der überraschende Charakter einer Klausel kann sich somit zum einen daraus ergeben, dass die Klausel inhaltlich eine Bestimmung trifft, die generell für den jeweiligen Vertragstypus (z.B. für einen Arbeitsvertrag) völlig unüblich ist oder mit der der Vertragspartner jedenfalls in der aktuellen Situation nicht rechnen musste. Zum anderen kann auch eine inhaltlich wenig überraschende Klausel trotzdem überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB sein, wenn sie an unerwarteter Stelle im Vertrag untergebracht ist oder einen ungewöhnlichen äußeren Zuschnitt aufweist (sog. formale Überraschung). Im Einzelfall ist der Verwender daher nach der Rechtsprechung gehalten, auf die Klausel besonders hinzuweisen oder sie drucktechnisch – durch Unterstreichung, durch Fettdruck o.ä. – hervorzuheben. Ein besonderer Hinweis bzw. eine drucktechnische Hervorhebung ist insbesondere bei den Arbeitnehmer belastenden Regelungen angezeigt. Als Faustregel gilt: Je belastender die Regelung sich für den Arbeitnehmer auswirken kann, desto deutlicher und klarer sollte der Arbeitgeber als Verwender der AGB auf sie hinweisen.
2. Praktische Beispiele
Rz. 62
Um ein Gefühl dafür zu vermitteln, welche Maßstäbe die Rechtsprechung hier anlegt, sei exemplarisch auf folgende Beispiele verwiesen:
Rz. 63
Überraschend ist es nach einer Entscheidung des BAG etwa, wenn in einem Arbeitsvertrag neben einer drucktechnisch hervorgehobenen Befristung auf die Dauer eines Jahres im nachfolgenden Vertragstext ohne besondere Hervorhebung eine weitere Befristung zum Ablauf der sechsmonatigen Probezeit vorgesehen ist. Die Befristung eines Arbeitsverhältnisses ist zwar an sich eine sehr übliche und im Allgemeinen sicher wenig überraschende Regelung, der Überraschungseffekt folgt hier jedoch aus der Gestaltung des Vertrags und dem unerwarteten Nebeneinander zweier Befristungsregelungen, von denen noch dazu nur eine drucktechnisch hervorgehoben war. Dieses Gesamtbild führte das BAG hier zur Einschätzung, dass die zweite Befristung wegen § 305c Abs. 1 BGB schon nicht Vertragsbestandteil wurde. Nachvollziehbar wurde dies damit begründet, dass der Arbeitnehmer nicht damit rechnen musste, dass sich im "Kleingedruckten" noch eine (weitere) Regelung findet, die das zuvor drucktechnisch Hervorgehobene in erheblichem Umfang abändert.
Rz. 64
Überraschend ist nach Auffassung des BAG etwa auch eine Regelung, die eine rückwirkende Vertragsänderung bewirken soll, vom Verwender allerdings unter der sehr missverständlichen Überschrift "Vertragsdauer und Kündigung" untergebr...