Rz. 83
Vor Durchführung der eigentlichen Inhaltskontrolle ist schließlich in einem fünften Schritt der genaue Inhalt der Klausel durch Auslegung zu bestimmen und zu hinterfragen, ob die Klausel ausgehend vom festgestellten Inhalt wegen § 307 Abs. 3 S. 1 BGB überhaupt einer AGB-Kontrolle zugänglich ist.
1. Grundsätze der Auslegung
Rz. 84
Zu beachten ist dabei, dass AGB im Gegensatz zu Individualvereinbarungen nicht gemäß §§ 133, 157 BGB nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte vom Empfängerhorizont aus auszulegen sind. Aufgrund der Tatsache, dass AGB mehrfach und ohne Rücksicht auf Besonderheiten des Einzelfalls zu Anwendung kommen sollen, gilt vielmehr ein objektiver Maßstab: Nach der Rechtsprechung sind AGB nach ihrem objektiven Inhalt und ihrem typische Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden. Es sind in diesem Zusammenhang gerade nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die Verständnismöglichkeiten eines durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen. Die Auslegung hat sich damit nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientieren.
Ausgangspunkt für die Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, soll es für die Auslegung entscheidend darauf ankommen, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner zu beachten ist.
Neben dem Vertragswortlaut ist ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Partei erkennbare Interessenlage der Beteiligten von Bedeutung für das Auslegungsergebnis.
Rz. 85
U.U. kommt auch eine ergänzende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in Betracht. Hier ist jedoch zu differenzieren: Beruht die Regelungslücke darauf, dass eine Klausel nach einer der Bestimmungen der §§ 305 ff. BGB nicht wirksam in den Vertrag einbezogen wurde oder unwirksam ist, dann bestimmen sich die Rechtsfolgen dessen nach § 306 BGB, der eine Lückenfüllung durch ergänzende Vertragsauslegung nur in engen Grenzen zulässt. Im Fall vollständig wirksamer AGB kommt dagegen eine Lückenfüllung über die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung durchaus in Betracht.
2. Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB
Rz. 86
Bleibt auch nach einer an den vorstehend beschriebenen Grundsätzen orientierten Auslegung ein nicht behebbarer Zweifel über den genauen Inhalt der Klausel, kommt die sog. Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zum Tragen. Diese bestimmt, dass etwaige Zweifel bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen zulasten des Verwenders gehen. Hintergrund dieser Regelung ist die Überlegung, dass derjenige, der die Macht hat, die Formulierung eines Vertragstextes zu bestimmen, nicht nur die damit verbundenen Vorteile genießen, sondern auch die Nachteile tragen soll, die sich aus mehrdeutigen Bestimmungen ergeben können.
Rz. 87
Eine Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB setzt voraus, dass die Auslegung einer Klausel in AGB mindestens zwei Auslegungsergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und keines dieser Ergebnisse einen klaren Vorzug verdient. Es müssen erhebliche Zweifel an der richtigen Auslegung bestehen. Die entfernte Möglichkeit, zu einem anderen Auslegungsergebnis zu kommen, genügt für eine Anwendung der Unklarheitenregel nicht.
Widersprechen sich dagegen zwei Regelungen, so ist dies nach Auffassung der Rechtsprechung kein Anwendungsfall des § 305c BGB. Das BAG geht in solchen Fällen vielmehr davon aus, dass die sich widersprechenden Bestimmungen schon wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam sein können.
Rz. 88
In der Rechtsfolge führt § 305c Abs. 2 BGB dazu, dass der Verwender der AGB die für ihn ungünstigste Auslegungsmöglichkeit gegen sich gelten lassen muss, weshalb insoweit auch vom Grundsatz der "arbeitnehmerfreundlichen" Auslegung die Rede ist. Zu Wertungswidersprüchen kann dieses Vorgehen allerdings gerade bei den Arbeitnehmer belastenden Regelungen dann führen, wenn eine der beiden Auslegungsvarianten gegen die §§ 307 ff. BGB verstößt und die Aufrechterhaltung der Klausel unter Zugrundelegung der arbeitnehmerfreundlichsten Auslegung dazu führen würde, dass sie in ihrer rechtlich noch tragbaren Variante "gerettet" würde, was einer im Rahmen der §§ 305 ff. BGB an sich verbotenen geltungserhaltenden Reduktion...