Rz. 10
Die folgenden allgemeinen Prüfungsschritte gelten zusätzlich zu der Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff. BGB. Teilweise werden Klauseln, die an der Kontrolle scheitern, gar nicht Vertragsbestandteil (siehe § 305c Abs. 1 BGB zur überraschenden Klausel). Teilweise führen Verstöße gegen die Kontrollnormen unabhängig von der inhaltlichen Bewertung zur Unwirksamkeit. Eine Regelung, die nicht Vertragsbestandteil geworden ist, muss nicht inhaltlich überprüft werden. Zudem beeinflusst die gedankliche Reihenfolge auch das Verständnis einer Klausel und damit das Ergebnis des Verfahrens. Daher ist es wichtig, auf der ersten Ebene das (nach dem Willen des Gesetzgebers) "richtige" Verständnis der Klausel (siehe Rdn 22 ff.) herauszuarbeiten, bevor diese Auslegung (also der Inhalt) in der "Inhaltskontrolle" auf die rechtliche Haltbarkeit hin überprüft wird.
a) Vorrang der Individualabrede, § 305b BGB
Rz. 11
Haben die Parteien bei oder nach Vertragsabschluss Ergänzendes oder Abweichendes vereinbart, so gilt dies vorrangig, und zwar auch zugunsten des Verwenders. Bei Abreden vor Vertragsabschluss ist allerdings besonders zu prüfen, ob diese Abreden durch den Abschluss des Vertrags nicht überholt sind
Rz. 12
Darüber hinaus führt der Vorrang der Individualabrede zur Unwirksamkeit insbesondere falsch gestalteter Schriftform- oder Vollständigkeits-Klauseln. Im Hinblick auf die Wirksamkeit ist zu differenzieren:
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Vollständigkeitsklauseln, die lediglich mündliche Nebenabreden im Zusammenhang mit dem Vertragsabschluss in Form einer widerlegbaren Vermutung für unwirksam erklären, stellen keine Beweislastverlagerung zum Nachteil des Kunden (§ 309 Nr. 12 lit. b BGB) dar und sind grds. auch im nicht-kaufmännischen Verkehr wirksam. Unwiderlegbare Vermutungen indes sind unzulässig. |
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Schriftformklauseln, egal ob einfache oder doppelte, sind unzulässig, sofern sie nicht den Vorrang der Individualabrede enthalten. Den Vorrang gegenüber Allgemeinen Geschäftsbedingungen haben individuelle Vertragsabreden ohne Rücksicht auf die Form, in der sie getroffen worden sind, und somit auch, wenn sie auf mündlichen Erklärungen beruhen. Das gilt selbst dann, wenn durch eine AGB-Schriftformklausel bestimmt wird, dass mündliche Abreden unwirksam sind. |
b) Überraschende Klauseln, § 305c Abs. 1 BGB
Rz. 13
Bestimmungen in AGB, "die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden nicht Vertragsbestandteil", § 305c Abs. 1 BGB. Maßgeblich ist, ob die Klausel so von den Erwartungen abweicht, die der redliche Verkehr typischerweise an den Vertragsinhalt knüpft, dass mit einer solchen Klausel vernünftigerweise nicht zu rechnen ist. Dieses Abweichen kann aus unterschiedlichen Wurzeln gespeist werden: z.B. wegen erheblichen Abweichens von dem Leitbild einer dispositiven Gesetzesregelung, wegen "Versteckens" der Klausel an unerwarteter Stelle oder wegen Widerspruchs zu den in den Vertragsverhandlungen durch den Verwender geweckten Erwartungen. Beispiele: Über den "Anlass" der Verbürgung hinausgehender Bürgschaftszweck in Formularen oder: Bei ansonsten meist unentgeltlichen Leistungen (z.B. für die Eintragung in ein Branchenregister) wird unter nicht eindeutiger Überschrift "(...), Vergütungshinweis, (…)" eine Vergütungspflicht begründet.
Jedoch kann der Überraschungseffekt vor allem durch einen konkreten (z.B. drucktechnisch hervorgehobenen) Hinweis auf diese Klausel gegenüber dem Partner im Einzelfall entfallen.
Rz. 14
In den Kontext des äußeren Erscheinungsbildes gehört das Erfordernis, dass "das Kleingedruckte" lesbar bleiben muss. Es ist auf den durchschnittlichen Leser abzustellen, was eine gewisse Differenzierung zwischen Verbraucher und Unternehmer als Kunden erfordert bzw. zulässt.
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Die Lesbarkeit von AGB hängt dabei nicht von einem Faktor allein ab, sondern von der Gesamtgestaltung. Hier sind insbesondere die Schriftgröße, die Gesamtlänge der AGB, der Text pro Seite, die Schriftart, der Kontrast Papier/Schrift, der Abstand zwischen den Zeilen, Übersichtlichkeit (kein Fließtext/zwei Spalten statt einer) usw. zu prüfen. Es muss ein Mindestmaß an Übersichtlichkeit gegeben sein. Nur aus dem Gesamteindruck ist definitiv der Schluss auf die Zumutbarkeit möglich. |
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Es ist davon auszugehen, dass eine Schriftgröße von 6 Punkt in aller Regel zumutbar ist; eine Unterschreitung kommt nur ganz ausnahmsweise in Betracht. Das gilt generell auch bei Verwendung gegenüb... |