aa) Abbedingen der Untersuchungs-/Rügepflichten des § 377 HGB (Einkauf-AGB)
(1) Rechtliche Grundlagen
Rz. 208
Der für Veränderungen der Untersuchungs-/Rügepflichten nach § 377 HGB in Einkauf-AGB maßgebliche § 307 BGB verbietet ein umfassendes Abbedingen des § 377 HGB bei "offenen Mängeln". Dies soll jedenfalls mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung (Abwehrmöglichkeit des Lieferers aufgrund des § 377 HGB) nicht vereinbar sein. In welchem Umfang jedoch eine Modifizierung des § 377 HGB (in Einkauf-AGB) zulässig ist, ist noch offen. Der auf Verkauf-AGB gegenüber Verbrauchern anwendbare § 309 Nr. 8 lit. b ee BGB (Ausschlussfristen) ist kein Maßstab bei Einkauf-AGB im unternehmerischen Verkehr, da ganz unterschiedliche Zielrichtungen verfolgt werden, gegenüber Verbrauchern: keine unangemessene Verkürzung der Ausschlussfristen; gegenüber Unternehmern: zeitnahe Rüge erforderlich; Blickwinkel Einkauf- bzw. Verkauf-AGB. Das Maß der zulässigen Modifizierungen des § 377 HGB hängt u.a. von den Produkten, von der Zumutbarkeit der unverzüglichen Prüfung und Rüge für den Auftraggeber, aber auch der Angewiesenheit des Auftragnehmers auf ein Verhalten des Auftraggebers gem. § 377 HGB ab (Interessenabwägung im Rahmen des § 307 BGB). Auch wenn der BGH meint, von einem Unternehmer könne eine Organisation seiner Eingangsprüfung dahingehend erwartet werden, dass er Sachmängel bemerke, so dürften deutliche Modifizierungen des § 377 HGB (im unternehmerischen Rechtsverkehr) dennoch zulässig sein, wenn gleichzeitig in einer Qualitätssicherungs-Vereinbarung die beiderseitigen Maßnahmen zur Sicherstellung der Qualität vereinbart werden. Es ist durchaus üblich, dass in einem solchen Fall die Untersuchungspflichten auf Warenidentität und -menge sowie äußerlich erkennbare Beschädigungen oder Mängel begrenzt werden. So festgestellte Mängel unterliegen nach § 377 HGB sodann der Pflicht zur unverzüglichen Rüge. Jedoch dürfte es auch insoweit zulässig sein, die nicht bei der Eingangsuntersuchung, sondern erst später entdeckten Mängel einer modifizierten Rügepflicht (insbesondere -frist) zu unterwerfen.
(2) Muster für Modifizierung der Untersuchungs-/Rügepflichten des § 377 HGB bei Kaufverträgen (Einkauf-AGB)
Rz. 209
Muster 2.49: Modifizierung der Untersuchungs-/Rügepflichten des § 377 HGB bei Kaufverträgen (Einkauf-AGB)
Muster 2.49: Modifizierung der Untersuchungs-/Rügepflichten des § 377 HGB bei Kaufverträgen (Einkauf-AGB)
Der Auftraggeber wird unverzüglich nach Eingang von Produkten prüfen, ob sie der bestellten Menge und dem bestellten Typ entsprechen und ob äußerlich erkennbare Transportschäden oder äußerlich erkennbare Mängel vorliegen. Weitergehende Untersuchungspflichten obliegen dem Auftraggeber in ausdrücklicher Beschränkung des § 377 HGB nicht.
bb) Erweiterung der Rügepflichten (Verkauf-AGB)
Rz. 210
Bei Kaufverträgen ist eine Verschärfung der Untersuchungs- und Rügepflicht (§ 377 HGB) in Verkauf-AGB nur ganz eingeschränkt zulässig. § 377 HGB stellt in aller Regel schon strengere Anforderungen auf, als nach § 309 Nr. 8 lit. b ee BGB zulässig wären. Eine Verschärfung gegenüber § 377 HGB bedarf daher eines herausgehobenen Beschleunigungsinteresses, das nur selten gegeben sein dürfte. Eine Klausel, die eine kurze Ausschlussfrist für offensichtliche oder nach Untersuchung erkennbare Mängel vorsieht, ist zwischen Unternehmern wirksam. In anderen Fällen können diese Anforderungen in Liefer-AGB nur in engen Grenzen gegenüber § 377 HGB weiter verschärft werden. Eine (kurze) Ausschlussfrist für (nur) erkennbare und versteckte Mängel wäre unwirksam.
Rz. 211
Bei Werkverträgen gilt § 377 HGB nicht. § 309 Nr. 8b ee BGB soll nach Ansicht des BGH aber im unternehmerischen Bereich indizieren, dass keine ausreichenden Gründe für eine Verkürzung der Rügemöglichkeit (die sonst nur durch die Mängelverjährung begrenzt sei) bestehe. Der Verlust des Mängelrügerechts (mit Anspruchsverlust) sei erst dann zu rechtfertigen, wenn der Auftraggeber zumutbaren, zur redlichen Abwicklung des Vertrags gebotenen Obliegenheiten nicht nachkomme. Auch wenn diese Ansicht zu weit geht, dürfte es bei Zugrundelegung der BGH-Rechtsprechung kaum einen Werkvertragsbereich geben, bei dem eine solche Klausel wirksam vorzusehen ist.