Dr. Jörg Kraemer, Frank-Michael Goebel
Rz. 182
§ 712 ZPO gibt dem Schuldner die Möglichkeit, die Vollstreckbarkeit aus einem Titel abzuwenden, der ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt worden ist. Er betrifft auch die Fälle, in denen das Urteil für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde und in denen der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abwenden kann, der Gläubiger jedoch seinerseits die Möglichkeit hat, die Zwangsvollstreckung nach eigener Sicherheitsleistung in die Wege zu leiten (§ 711 ZPO). § 712 ZPO schließt das "Unterlaufen" der Abwendungsbefugnis des Schuldners durch eigene Sicherheitsleistung des Gläubigers aus.
Rz. 183
Sinn und Zweck des Schutzantrages ist es, den Schuldner vor einem nicht zu ersetzenden Nachteil zu schützen, der durch die durchzuführende Vollstreckung entsteht. Da grundsätzlich das Gläubigerinteresse bei der vorläufigen Vollstreckbarkeit Vorrang hat, wird die Vorschrift sehr restriktiv gehandhabt. Hinzu kommt, dass der Schuldner im Falle des § 711 ZPO durch die vorangegangene Sicherheitsleistung des Gläubigers geschützt ist.
Rz. 184
Der Antrag des Schuldners ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Erkenntnisverfahren bei dem Prozessgericht zu stellen (§ 714 ZPO). Es ist zwar umstritten, ob ein Antrag nach § 712 ZPO auch noch in der zweiten Instanz nachgeholt werden kann. Nach dem klaren Wortlaut des § 714 ZPO ist die Frage jedoch zu verneinen.
Rz. 185
Es sind verschiedene Antragsinhalte denkbar:
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Im Falle des § 708 ZPO ist der Antrag darauf gerichtet, keine vorläufige Vollstreckbarkeit zuzulassen oder dem Schuldner eine Abwendungsbefugnis durch Erbringung einer Sicherheitsleistung zu gestatten. |
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Im Falle der Titel, deren vorläufige Vollstreckbarkeit sich nach § 709 Abs. 1 ZPO bestimmt, ist der Antrag darauf gerichtet, dem Schuldner zu gestatten, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden bzw. von einer Titulierung der vorläufigen Vollstreckbarkeit abzusehen. |
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Im Falle der Titel des § 711 ZPO ist der Antrag darauf gerichtet, die Vollstreckbarkeit durch Sicherheitsleistung des Schuldners endgültig abzuwenden (d.h. der Gläubiger darf auch nicht bei Erbringung eigener Sicherheitsleistung vollstrecken). |
Rz. 186
Nach § 712 Abs. 1 S. 2 ZPO entfällt die Pflicht zur Leistung von Sicherheit durch den Schuldner, wenn dieser vermögenslos und kreditunwürdig ist. Darüber hinaus hat der Schuldner auch die Möglichkeit, – gegebenenfalls hilfsweise – zu beantragen, lediglich die vorläufige Vollstreckbarkeit nach § 720a ZPO zuzulassen.
Rz. 187
Die zu wählende Antragsart hängt von der Titelart ab. Entscheidend ist daher die Frage, ob und wie das Urteil die vorläufige Vollstreckbarkeit regelt. Bei allen Anträgen sind die materiellen Voraussetzungen identisch, nämlich ein durch die Zwangsvollstreckung für den Schuldner entstehender, nicht zu ersetzender Nachteil. Es müssen irreparable Folgen durch die Vollstreckung so gut wie sicher zu erwarten sein. In Betracht kommen die Fälle, in denen die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners als sicher erscheint. Als nicht ausreichend ist angesehen worden, dass nicht zu erwarten ist, dass der Unterhaltsgläubiger die erbrachte Leistung später nicht zurückzahlen kann; andererseits wird die Vermögenslosigkeit des Gläubigers dann als ausreichend angesehen, wenn er ohne Sicherheitsleistung vollstrecken darf (§ 708 Nr. 1–3 und in Ausnahmefällen auch § 710 ZPO). Auch im Falle einer Vollstreckung eines im Ausland ansässigen Gläubigers ist der Schuldner in der Regel nicht zu schützen.
Rz. 188
Gemäß § 714 Abs. 2 ZPO hat der Schuldner die Voraussetzungen für seinen Anspruch glaubhaft zu machen. Der Gläubiger muss, um den Antrag abzuwenden, sein Vorbringen ebenfalls glaubhaft machen. Es stehen daher alle präsenten Beweismittel und die Versicherung an Eides statt zur Verfügung (§ 294 ZPO). Bei Übergehen des Antrages stehen die Korrekturmöglichkeiten der §§ 321, 716 ZPO zur Auswahl.