Literaturhinweise:
Dahn, Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr in sozialrechtlichen Mandaten, AGS 2021, 385; Hansens, Ausschluss der Anrechnung der Geschäftsgebühr durch Vergütungsvereinbarung, RVGreport 2015, 127; Schneider, Fälle zur Anrechnung der Geschäftsgebühr in Zivilsachen, AGS 2021, 337; ders., Mehrfach hintereinander folgende Anrechnungen (Kettenanrechnungen), AGkompakt 2020, 50 u. 64; ders., Anrechnung in Mahnverfahren, AGkompakt 2019, 110; ders., Anrechnung der Ratsgebühr, AGkompakt 2019, 5; ders. Die Kettenanrechnung – Tipps und Kniffe bei mehrstufigen Mandaten, AnwBl 2015, 220; ders., Anrechnung der Mahnverfahrensgebühren im nachfolgenden streitigen Verfahren, AGkompakt 2015, 26; ders., Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Gesamtvergleich, AGkompakt 2014, 17; ders., Die Bedeutung des § 15a RVG in rechtsschutzversicherten Mandaten, AGkompakt 2012, 26.
Rz. 39
Ein Dauerbrenner bei den Gebührenfragen ist das Thema Anrechnung. Im RVG gibt es eine Vielzahl von Anrechnungsvorschriften – nicht nur den Klassiker Geschäfts- auf Verfahrensgebühr. Man sollte sich bei diesem Thema daher, auch im Interesse des Mandanten, auf halbwegs sicherem Terrain bewegen. Hintergrund der Anrechnung ist zum einen, dass ein mit der Sache vorbefasster Rechtsanwalt einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand als ein neu beauftragter Rechtsanwalt haben soll. Zum anderen gibt es besondere gerichtliche Verfahren, deren Gegenstand normalerweise auch Bestandteil des Hauptsacheverfahrens wäre und dies bei aufeinanderfolgender Durchführung beider auch gebührenrechtlich berücksichtigt werden soll. Immer, wenn der Anwalt hinsichtlich desselben Gegenstandes in verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten tätig geworden ist, sollte daher auf eventuell bestehende Anrechnungsregelungen geachtet werden. Auch wenn zahlreiche Variationen der Anrechnung auftreten und sich hier nicht alle Detailfragen beleuchten lassen, ist die dahinterstehende Grundsystematik immer dieselbe. Hat man diese im Blick, lassen sich zahlreiche Probleme vermeiden.
I. § 15a Abs. 1 RVG
Rz. 40
Früher war die Hauptfrage im Zusammenhang mit der Anrechnung, ob bei Anfall einer Geschäftsgebühr für die vorgerichtliche Tätigkeit des Rechtsanwalts die nachfolgende Verfahrensgebühr möglicherweise nur noch in reduzierter Höhe anfällt. Die überwiegende Rechtsprechung hatte das bejaht. Dies hatte zur Folge, dass die Gegenseite, auch wenn sie mangels materiell-rechtlicher Anspruchsgrundlage zur Erstattung der Geschäftsgebühr nicht verpflichtet war, von der Vortätigkeit profitierte und nur noch eine um die Anrechnung geminderte Verfahrensgebühr erstatten musste – zum Nachteil des Mandanten.
Rz. 41
Diese Problematik wurde glücklicherweise 2009 durch den Gesetzgeber mit der Einführung des § 15a RVG geregelt. In § 15a Abs. 1 RVG ist ausdrücklich klargestellt: Ist im Gesetz die Anrechnung einer Gebühr auf eine andere Gebühr vorgesehen, kann der Rechtsanwalt beide Gebühren fordern, jedoch nicht mehr als den um den Anrechnungsbetrag verminderten Gesamtbetrag der beiden Gebühren. Bei einer Vorbefassung im Rahmen eines Anrechnungstatbestandes entsteht also die nachfolgende Gebühr in voller – und nicht lediglich in reduzierter – Höhe. Der Rechtsanwalt hat demnach ein Wahlrecht, bei welcher der beiden aufeinander anzurechnenden Gebühren er die Anrechnung berücksichtigt – und sollte von diesem im Interesse seines Mandanten auch Gebrauch machen.
II. Voraussetzungen
Rz. 42
Die Anrechnungstatbestände sind vielfältig: So ist nach § 34 Abs. 2 RVG die Gebühr für die Beratung auf eine Gebühr für eine sonstige Tätigkeit, die mit der Beratung zusammenhängt, anzurechnen. Vorbem. 2.3 Abs. 4 und 6 VV RVG sehen die Anrechnung einer Geschäfts- auf eine weitere Geschäftsgebühr vor und Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG die der Geschäfts- auf die Verfahrensgebühr. Dies sind nur einige wenige Beispiele. Auch die Höhe der Anrechnung differiert: Während sich die Gebühren an der einen Stelle nur teilweise reduzieren, gehen sie an anderer Stelle durch die Anrechnung vollständig ineinander auf.
Rz. 43
Eines haben jedoch alle gemeinsam:
Die Anrechnung setzt immer Gegenstandsidentität voraus. Eine Anrechnung zwischen verschiedenen gebührenrechtlichen Angelegenheiten erfolgt nur, wenn und soweit der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit identisch ist. Der BGH nimmt dabei eine wirtschaftliche Betrachtungsweise vor. Was Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit in diesem Sinn ist, werde durch das Recht oder Rechtsverhältnis bestimmt, auf das sich die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Rahmen des ihm erteilten Auftrags bezieht. Dabei sei bei der Bestimmung des Gegenstandes keine formale, sondern eine wertende Betrachtungsweise angezeigt und auf die wirtschaftliche Identität abzustellen. Liegt lediglich eine teilweise Identität vor, wird auch nur teilweise angerechnet – maßgeblich ist daher nur der Gegenstand, der auch tatsächlich übergegangen ist. Besondere Aufmerksamkeit ist deshalb bei der Auswechselung von Gegenständen geboten. Die Reihenfolge des...