1. § 32 RVG – Bindungswirkung
Rz. 35
Besondere Aufmerksamkeit sollte man aufgrund der Bindungswirkung der Wertfestsetzung durch das Gericht schenken. Hier gibt es oft ein böses Erwachen, wenn die Festsetzung falsch ist und nicht rechtzeitig angegriffen wurde. Denn § 32 Abs. 1 RVG bestimmt, dass bei gerichtlicher Festsetzung des für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wertes diese Festsetzung auch für die Gebühren des Rechtsanwalts maßgebend ist. Ist die Festsetzung zu niedrig und möchte der Anwalt nach einem höheren Wert abrechnen, muss er zwingend gegen die Festsetzung vorgehen. Versäumt er dies, kann er nur nach dem festgesetzten Wert abrechnen. Der Anwalt kann daher auch aus eigenem Recht die Festsetzung des Wertes beantragen und Rechtsmittel einlegen. Rechtsbehelfe, die gegeben sind, wenn die Wertfestsetzung unterblieben ist, kann er ebenfalls aus eigenem Recht einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
Die Bindungswirkung gilt in aller Regel auch beim Abschluss von Mehrvergleichen über nicht anhängige Ansprüche vor Gericht. Mit Ausnahme von arbeitsrechtlichen Angelegenheiten fallen auch bezüglich des Mehrwertes Gerichtskosten nach den Kostengesetzen an und sind daher bei der Wertfestsetzung für die Gerichtskosten mit zu berücksichtigen. Da dies von den Gerichten gelegentlich vergessen wird bzw. nicht alle verhandelten Gegenstände bekannt sind, sollte man also auch hier besonders achtsam sein und ggf. entsprechend vortragen, da andernfalls keine Gebühren aus den Mehrwerten abgerechnet werden können und ein hoher Gebührenverlust bei unvermindertem Haftungsrisiko die Folge sein kann.
2. § 33 RVG – Antrag
Rz. 36
Berechnen sich die Gebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert oder fehlt es an einem solchen Wert, setzt das Gericht des Rechtszugs den Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit auf Antrag durch Beschluss selbstständig fest, § 33 Abs. 1 RVG. In diesen Fällen findet § 32 RVG keine Anwendung. Die Bindungswirkung des § 32 RVG greift auch dann nicht, wenn der für die Gerichtsgebühren maßgebliche Gegenstand und der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht identisch sind. Dies kann unter anderem der Fall sein, wenn der Anwalt bei mehreren Parteien nur mit einem Teil des Gegenstandes des gerichtlichen Verfahrens beauftragt war oder zu einem Zeitpunkt mandatiert wird, in dem ein Teil bereits erledigt war, ebenso wie bei einem Anwaltswechsel. Besondere Bedeutung hat die Vorschrift auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren, da hier bei Mehrvergleichen keine Gerichtsgebühren anfallen. Zu rein außergerichtlichen Vergleichen anlässlich eines gerichtlichen Verfahrens vertritt im Übrigen das OLG Karlsruhe die Auffassung, dass § 33 Abs. 1 RVG auf außergerichtliche Vergleiche nicht anzuwenden sei.
Rz. 37
Liegt eine vermeintlich falsche Wertfestsetzung vor, ist genau zu prüfen, ob ein Fall des § 32 RVG vorliegt und damit Rechtsmittel gegen die Wertfestsetzung einzulegen oder im Anwendungsbereich des § 33 RVG zunächst ein entsprechender Antrag zu stellen ist, da hier eine Festsetzung von Amts wegen nicht zulässig ist. Der BGH hat dabei entschieden, dass wenn im Kostenfestsetzungsverfahren die Bestimmung des maßgeblichen Gebührenstreitwerts erforderlich wird, das Verfahren bis zur Entscheidung des hierfür zuständigen Ausgangsgerichts auszusetzen sei. Eine Beschwerde gegen die Wertfestsetzung sollte allerdings wohl überlegt werden, da hier das Verbot der reformatio in peius nach Teilen der Rechtsprechung nicht gilt und es für den Anwalt daher auch schlimmer kommen kann.
Rz. 38
Praxistipp
Der Wertfestsetzung durch das Gericht muss aufgrund der Bindungswirkung besondere Aufmerksamkeit gelten, sowohl im Interesse des Mandanten als auch im eigenen. Ist der Wert nicht ohne Weiteres bestimmbar, sollte bereits im Antrag zu den eigenen Wertvorstellungen vorgetragen werden, um riskante Beschwerdeverfahren zu vermeiden.