Rz. 10
Mit der Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007 (Az. C 463/06) hat sich nunmehr die Möglichkeit eröffnet, den gegnerischen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, der seinen Firmensitz innerhalb der EU hat, am Wohnsitz des Geschädigten zu verklagen, wenn in diesem Staat eine "direkte" Klage gegen den Versicherer zugelassen ist.
a) Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007
Rz. 11
Gem. Art. 13 Abs. 2 EuGVVO ist auf eine Klage, die der Geschädigte nach Art. 13 Abs. 1 EUGVVO unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, Art. 11 EuGVVO anzuwenden. Nach einer früher in der deutschen Rechtsprechung vertretenen strengen Auffassung war der inländische Geschädigte nicht als Begünstigter des Haftpflichtversicherungsvertrags i.S.d. Art. 11 Abs. 1b EuGVVO eingestuft worden und konnte daher nicht vor einem deutschen Gericht Klage erheben. Der BGH hat dieser Auffassung eine Absage erteilt und sich der Ansicht angeschlossen, wonach eine solche Klage am Wohnort des Geschädigten möglich ist. Zugleich hat der BGH diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorgelegt. Der EuGH hat die Auffassung des BGH bestätigt und legt die oben genannte Verordnung so aus, dass der Geschädigte den ausländischen Versicherer mit EU-Geschäftssitz am Ort seines eigenen Wohnsitzes im Inland verklagen kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist.
Hinweis
Dies gilt auch für das Lugano-Abkommen mit der Schweiz, dessen Vorschriften gleich auszulegen sind.
Rz. 12
Muster 2.2: Internationale Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Geschädigten im Inland
Muster 2.2: Internationale Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Geschädigten im Inland
Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus den Art. 13 Abs. 2, 11 EuGVVO. Diese Vorschriften sind immer dann anzuwenden, wenn – wie hier – ein ausländischer Versicherer in Anspruch genommen wird, der seinen Geschäftssitz im EU-Ausland hat und nach dem Recht des angerufenen Gerichts eine Direktklage gegen einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer zulässig ist (EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C 463/06 = zfs 2008, 139). Der durch den Verkehrsunfall Geschädigte hat seinen Wohnsitz unter der Adresse _________________________ am Ort des angerufenen Gerichts.
Allerdings ist auf diesen besonderen Gerichtsstand nach Art. 13 Abs. 2 EuGVVO die Annexzuständigkeitsregelung des Art. 8 EuGVVO nicht anwendbar: Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft eröffnet nur eine Annexzuständigkeit an dem Gerichtsstand des allgemeinen Wohnsitz. Eine weitere Ausdehnung dieser Norm über ihren Wortlaut hinaus auf den Anwendungsbereich besonderer Gerichtsstände wäre mit der grundsätzlich restriktiven Rechtsprechung des EuGH schwerlich zu vereinbaren.
Rz. 13
Muster 2.3: Keine Annexzuständigkeit bei Inlandsklage
Muster 2.3: Keine Annexzuständigkeit bei Inlandsklage
Während Art. 13 Abs. 2 i.V.m. Art. 11 Abs. 1 EuGVVO in der Auslegung des EuGH eine Klage auch außerhalb des Landes, in dem der Haftpflichtversicherer seinen Wohnsitz hat ermöglicht, sieht die Verordnung eine solche internationale Zuständigkeit für eine Klage gegen den Versicherungsnehmer des Haftpflichtversicherers, der seinen Wohnsitz im selben Land wie der Haftpflichtversicherer hat, nicht vor. Insbesondere bietet Art. 8 Nr. 1 EuGVVO keine Annexzuständigkeit, um gleichzeitig den Schädiger bzw. Versicherungsnehmer zu verklagen. Nach Art. 8 Nr. 1 EuGVVO kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedsstaates hat, auch verklagt werden, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Da der internationale Gerichtsstand am Wohnsitz des Geschädigten allerdings ein besonderer Gerichtsstand ist, während Art. 8 Nr. 1 EuGVVO die Zuständigkeit an den allgemeinen Gerichtsstand eines der Beklagten knüpft ("vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat"), scheidet eine Zuständigkeitserstreckung auf den Schädiger bzw. Versicherungsnehmer aus (BGH, Urt. v. 24.2.2015 – VI ZR 279/14 = NJW 2015, 2429).
Beispielsfall
Der in Hamburg lebende D wird in Antwerpen in den Niederlanden in einen Verkehrsunfall mit einem in Rotterdam wohnhaften Niederländer (N) verwickelt, dessen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (VR) in Amsterdam ansässig ist, wo zugleich ein Studienfreund des D als Anwalt tätig ist. Der Anspruch des D wird über seinen Anwalt aus Hamburg in Deutschland gegenüber dem Regulierungsbeauftragten der VR in Deutschland nicht innerhalb von 3 Monaten beschieden.
Wenn sich D entscheidet, seine Ansprüche in den Niederlanden vor einem niederländischen Gericht gerichtlich geltend zu machen, stehen ihm folgende Gerichtsstände zur Verfügung: D könnte nunmehr Klage gegen N und dessen VR vor einem niederländischen Gericht in Antwerpen als Gericht des Unfallorts erheben oder auch jeweils N oder VR an dessen Wohn- bzw. Firmensitz verklagen....