I. Übersicht
Rz. 2
Bei der Frage, ob ein Rechtsanwalt ein derartiges Mandat annehmen sollte, ist zu beachten, ob im Hinblick auf das zur Anwendung kommende Recht ausreichende Kenntnisse vorhanden sind. Ggf. stellt sich die Frage, vor welchem Gericht im Streitfall Klage zu erheben ist und ob der Anwalt das Verfahren dann auch weiterhin betreuen kann. Besteht die Möglichkeit, bei Gerichten unterschiedlicher Staaten Klage zu erheben, ist die Möglichkeit eines sog. forum shopping bzw. law shopping zu beachten.
II. Erleichterte Korrespondenz durch Einschaltung eines regulierungsbeauftragten Versicherers im Inland
Rz. 3
Eine Korrespondenz mit dem ausländischen Versicherer ist bei Unfällen mit Kfz, welche in einem EU-Mitgliedsstaat versichert sind, i.d.R. kein entscheidendes Hindernis mehr: Während früher die Regulierung solcher Schäden oft mit Sprachbarrieren und großem juristischen Aufwand verbunden war, hat nunmehr aufgrund der 4. Kraftfahrthaftpflicht-Richtlinie seit Januar 2003 jeder Versicherer in jedem Mitgliedsland der EU Beauftragte für die Schadenregulierung benannt. Die Richtlinie schließt alle EU-Mitgliedstaaten sowie Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz ein. Wer zum Beispiel in Frankreich Opfer eines Verkehrsunfalls wird, kann sich in Deutschland an den Beauftragten der französischen Versicherung des Schädigers wenden. Die Kontaktdaten des zuständigen Beauftragten erfährt der Geschädigte, indem er sich an den Zentralruf der Autoversicherer wendet.
Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass der ausländische Versicherer, vertreten über ihren "Inlandsbeauftragten" nach § 3a Abs. 1 PflVG innerhalb von drei Monaten nach Antragsstellung auf den geltend gemachten Schaden entweder mit einem Regulierungsangebot oder einer Ablehnung antworten muss. Erfolgt innerhalb dieser Frist keine derartige Antwort, so kann der Geschädigte die in Deutschland für derartige Fälle eingerichtete Entschädigungsstelle in Anspruch nehmen. In Deutschland wird die Aufgabe der Entschädigungsstelle gem. § 13a PflVG von der Verkehrsopferhilfe e.V. wahrgenommen, deren Adresse wie folgt lautet:
Verkehrsopferhilfe e.V.
Wilhelmstr. 43/43G
10117 Berlin
Telefon: (030) 20 20 5858
Telefax: (030) 20 20 5722
E-Mail: voh@verkehrsopferhilfe.de
www.verkehrsopferhilfe.de
III. Klagemöglichkeit vor dem international zuständigen Gericht
Rz. 4
Bei einem Unfall mit Auslandsbezug ist zu prüfen, unter welchen Gesichtspunkten sich die internationale Zuständigkeit eines ggf. anzurufenden Gerichts ergibt. Innerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR, Ausnahme: Dänemark) wird die internationale Zuständigkeit nunmehr durch die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Brüssel I a VO) geregelt, die am 10.1.2015 in Kraft getreten ist. Diese hat die bisherige Fassung der EuGVVO aus der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 abgelöst. Die für die folgenden Ausführungen relevanten Artikel sind jedoch im Wortlaut und inhaltlich, wenn auch teilweise in anderen Vorschriften, übernommen worden, so dass die bisherige Anwendung und Rechtsprechung weiterhin Bestand haben werden. Diese Verordnung ist maßgeblich für alle Klagen gegen Beklagte, die in einem EU-Mitgliedsstaat (inzwischen auch für Dänemark) ihren Wohnsitz haben und sie stellt unmittelbares Gemeinschaftsrecht dar, welches nicht in nationales Recht umgesetzt werden muss.
Hinweis
Die Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 wird sowohl unter dem Begriff der Brüssel I a VO als auch der EuGVVO erfasst – letztere Bezeichnung wird für die nachfolgenden Ausführungen gewählt und bezieht sich – wenn nicht anders vermerkt – immer auf die EuGVVO in der Fassung der Brüssel I a VO.
1. Allgemeiner Gerichtsstand des Wohnortes
Rz. 5
Gem. Art. 4 EuGVVO ist das Gericht des Staates zuständig, in dem der Beklagte seinen Wohnsitz hat. Während bei natürlichen Personen der Wohnsitz i.d.R. einfach zu erfassen ist, bestimmt Art. 63 EuGVVO den "Wohnsitz" einer juristischen Person als den Ort, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet.
2. Besonderer Gerichtsstand der Streitgenossenschaft
Rz. 6
Die oben dargelegten beiden allgemeinen Gerichtsstände decken sich im Wesentlichen mit den Gerichtsständen der §§ 13, 17 ZPO. Weniger bekannt ist, dass die EuGVVO in Art. 8 Nr. 1 auch den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft zulässt. Voraussetzung hierfür ist allerdings eine so enge Beziehung zwischen zwei ansonsten gebotenen Klagen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren sich widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. Eine derart enge Beziehung ist immer dann anzunehmen, wenn Fahrer, Halter und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer als Gesamtschuldner verklagt werden und eine gemeinsame Verurteilung angestrebt wird. Der Annahme eines solchen besonderen Sachzusammenhanges steht auch nicht entgegen, dass beide Parteien bereits am Gerichtsstand des Unfallortes verklagt werden können.