Rz. 15
Die Entscheidung des EuGH wirft allerdings eine Reihe an weiteren Fragen auf:
Auf welchen Zeitpunkt ist bei der Ermittlung des Wohnsitzes des Geschädigten abzustellen? Den Zeitpunkt des Verkehrsunfalls oder den Zeitpunkt der Klagerhebung? Erste Gerichte sprechen sich dabei z.B. dafür aus, dass hierfür nicht entscheidend ist, wo die aus einem Unfall resultierende Verletzung behandelt wurde, sondern wo das schädigende Ereignis mit der Primärverletzung eingetreten ist.
Wenn der Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klage gilt, könnte der Geschädigte ggf. ein sog. forum shopping betreiben, indem er durch einen Wohnortwechsel jeweils ein anderes Gericht anruft und dadurch ggf. ein anderes IPR zur Geltung gelangt. Insoweit ist auch zu bedenken, dass Art. 13 Abs. 2 EuGVVO bereits über den Wortlaut des Art. 11 Abs. 1 b EuGVVO dahingehend erweitert worden ist, dass auch dem Geschädigten ein Klagerecht an seinem Wohnsitz zugestanden wird. Eine solche Ausnahme sollte jedoch ggf. eng ausgelegt und daher auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt des Verkehrsunfalls abgestellt werden. Andererseits dienen die Normen der Art. 11, 13 EuGVVO auch dem sozialen Schutz des betroffenen Personenkreises. Für eine Klage des Versicherungsnehmers gegen den VR nach den §§ 11 Abs. 1 b, 13 Abs. 2 EuGVVO ist jedenfalls anerkannt, dass zum Schutz des VN auf den Wohnsitz zum Zeitpunkt der Klagerhebung abzustellen ist. Ob dies auch für den Geschädigten eines Verkehrsunfalls gilt bleibt abzuwarten. Die Lösung mag ggf. darin liegen, dem Versicherer einen Arglisteinwand zu gestatten.
Rz. 16
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Muster 2.5: Internationale Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Geschädigten im Inland bei Wohnsitzwechsel
Die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus den Art. 13 Abs. 2, 11 EuGVVO. Diese Vorschriften sind immer dann anzuwenden, wenn – wie hier – ein ausländischer Versicherer in Anspruch genommen wird, der seinen Geschäftssitz im EU-Ausland hat und nach dem Recht des angerufenen Gerichts eine Direktklage gegen einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer zulässig ist (EuGH, Urt. v. 13.12.2007 – C 463/06 – juris = zfs 2008, 139). Der durch den Verkehrsunfall Geschädigte hat seinen Wohnsitz unter der Adresse _________________________ am Ort des angerufenen Gerichts. Dabei ist auf den oben angeführten Wohnsitz des Betroffenen zum Zeitpunkt der Klagerhebung abzustellen, um dem Betroffenen als unterlegene Partei umfassend zu schützen (Riedmeyer, zfs 2006, 134; Nugel, VRR 2009, 284).
Rz. 17
Greifen die vom EuGH zitierten Vorschriften auch ein, wenn Ansprüche des Geschädigten kraft Vereinbarung oder Gesetzes auf Dritte übergehen? Dies hängt insbesondere davon ab, ob eine unterlegene Stellung gegenüber dem Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer des Unfallgegners festgestellt werden kann. Der EuGH hat nach diesem Maßstab eine Klagebefugnis des Krankenversicherers im Inland abgelehnt.
Hinweis
Zu beachten ist dabei auch, dass sich die Möglichkeit eines solches Regressanspruchs aus übergegangenem Recht gem. Art. 85 EGV Nr. 883/2004 nach dem Recht des Staates richtet, dem der Sozialversicherer angehört.
Die Zuständigkeitsregelungen der EuGVVO sind nach Ansicht des EuGH eng und so auszulegen, dass sie nicht abhängig von den Besonderheiten des jeweiligen nationalen Rechts und einem darin vorgesehenen Anspruchsübergang abhängen dürften. Auch wäre der Erwägungsgrund Nr. 18 zur EuGVVO zu berücksichtigen. Dieser lautet wie folgt: "Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung." Eine Klagebefugnis im Inland würde daher nur dem Geschädigten zustehen, der sich in einer unterlegenen Position gegenüber dem gegnerischen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer befindet. Auch wenn der Sozialversicherungsträger aus übergegangenem Recht einen Anspruch des unmittelbar Geschädigten verfolgt, wäre er trotzdem nicht als unterlegener Geschädigter im Sinne dieser Vorschriften zu verstehen, da ihm grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten wie einem privaten Versicherer offen stünden. Auch der Kaskoversicherer ist daher mangels einer unterlegenen Stellung nicht zu einer Inlandsklage berechtigt.
Rz. 18
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Muster 2.6: Keine Klagebefugnis des Kaskoversicherers bei Inlandsklage
Hat der bei einem Verkehrsunfall im Ausland Geschädigte wegen des Fahrzeugschadens seine Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen ist das Gericht seines Wohnsitzes für die Klage des Kaskoversicherers gegen den ausländischen Haftpflichtversicherer nicht gem. Art. 11 Abs. 1, 13 Abs. 2 EuGVVO international zuständig. Dies gilt auch dann, wenn der Geschädigte den Anspruch des Kfz-Kaskoversicherers in gewillkürter Prozessstandschaft geltend macht. Dieses Recht steht nur der schwächeren Partei gegenüber dem Haftpflichtversicherer zu. Der EuGH (EuGH, Urt. v. 17.9.2009 – C 347...