Norbert Schneider, Lotte Thiel
a) Überblick
Rz. 15
Hat der Anwalt mit seinem Auftraggeber keine Gebührenvereinbarung getroffen, so gilt § 34 Abs. 1 S. 2 RVG. Der Anwalt erhält eine Vergütung nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Einschlägig ist in diesem Fall § 612 Abs. 2 BGB. Der Anwalt erhält also eine angemessene (ortsübliche) Vergütung. Die Höhe dieser Vergütung richtet sich nach den Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG (§ 34 Abs. 1 S. 3, 2. Hs. RVG). Zu berücksichtigen sind
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Umfang der anwaltlichen Tätigkeit, |
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Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, |
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Bedeutung der Sache, |
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Einkommensverhältnisse des Auftraggebers und |
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Vermögensverhältnisse des Auftraggebers (§ 14 Abs. 1 S. 1 RVG) sowie |
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das besondere Haftungsrisiko des Anwalts (§ 14 Abs. 1 S. 2 RVG). |
Rz. 16
Nach AG Emmerich kann mangels einer (wirksamen) Vereinbarung von einer 0,75-Gebühr aus dem Gegenstandswert ausgegangen werden. Das AG Bielefeld wiederum hält 190,00 EUR je Stunde für angemessen. Soweit das AG Stuttgart verlangt, dass die anwaltliche Gebührenbestimmung zumindest für eine Erstberatung auch den Gegenstandswert berücksichtigen müsse; anderenfalls sie unbillig sei, kann dem nicht gefolgt werden, weil der Gegenstandswert gerade kein Kriterium für die Gebührenbestimmung mehr ist. Der Gegenstandswert kann lediglich im Rahmen der Bedeutung der Sache zu beachten sein. Einen Grundsatz, dass eine Beratungsgebühr zwingend oder grundsätzlich günstiger als eine entsprechende Geschäftsgebühr ausfallen muss, gibt es nicht, da es sich bei einer Beratung gerade nicht um ein Weniger handelt.
Rz. 17
Da es sich nicht um eine Rahmengebühr, sondern um eine offene Gebühr handelt, ist ungeachtet dessen, dass die Kriterien des § 14 Abs. 1 RVG anzuwenden sind, ein Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer nach § 14 RVG nicht erforderlich.
b) Begrenzung
Rz. 18
Zu beachten ist, dass die BGB-Vergütung begrenzt ist, wenn der Anwalt einen Verbraucher (§ 13 BGB) berät, was in Familiensachen grundsätzlich immer der Fall sein dürfte. Die Beratungsgebühr ist dann begrenzt auf
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190,00 EUR im Falle eines ersten Beratungsgesprächs (§ 34 Abs. 1, S. 3, 3. Teils. RVG). |
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und im Übrigen auf 250,00 EUR (§ 34 Abs. 1 S. 3, 1. Teils. RVG). |
Rz. 19
Die Begrenzungen des § 34 Abs. 1 S. 3 RVG stellen allerdings keine Regelgebühren dar, sondern jeweils eine Höchstgrenze. Der Anwalt kann nicht willkürlich immer eine Gebühr bis zur jeweiligen Höchstgrenze fordern.
Rz. 20
Unter einem ersten Beratungsgespräch versteht man eine erste überschlägige "Einstiegsberatung", eine pauschale überschlägige Information des Auftraggebers, die es ihm ermöglicht, sich einen ersten Überblick über die Rechtslage zu verschaffen, aufgrund dessen er dann beurteilen kann, ob er dem Anwalt ein weiter gehendes Mandat erteilt oder nicht. Die Begrenzung greift grundsätzlich nicht ein, wenn es zu einem zweiten oder gar weiteren Beratungstermin kommt oder wenn (auch) schriftlich beraten wird. Der Anwalt muss im Rahmen der Erstberatung kein vollständiges Ergebnis präsentieren. Der Bereich der Erstberatung ist insbesondere dann überschritten, wenn bei einem zweiten Beratungsgespräch über Vorschläge beraten wird, die bei der ersten Beratung noch nicht vorlagen.
Rz. 21
Die Grenze einer Erstberatung kann – insbesondere in Familiensachen – auch schon im ersten Beratungstermin überschritten werden. So hat das AG Augsburg die Grenze der Erstberatung als überschritten angesehen bei einer familienrechtlichen Beratung, in der der Anwalt über eine Stunde lang zu Scheidungsvoraussetzungen, elterlicher Sorge, Versorgungsausgleich, Umgangsrecht, Haushaltsauseinandersetzung, Zugewinn sowie Ehegatten- und Kindesunterhalt beraten und das Beratungsergebnis anschließend in einem mehrseitigen Schreiben zusammengefasst hat.
Beispiel 6: Beratungsgebühr nach BGB, Erstberatung (I)
Der Anwalt hatte die Ehefrau nach der Trennung in einem ersten einstündigen Gespräch überschlägig darüber beraten, welche Unterhaltsansprüche ihr gegen ihren Ehemann zustehen. Eine Gebührenvereinbarung ist nicht getroffen worden.
Gegenstand war eine Erstberatung. Da die Beratung über Unterhalt umfangreich ist, dürfte die angemessene BGB-Gebühr über 190,00 EUR liegen. Mangels einer Vereinbaru...