Dr. Nicolai Besgen, Thomas Prinz
Rz. 47
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb ein Mitbestimmungsrecht.
1. Anwendung neben § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG?
Rz. 48
In der betriebsverfassungsrechtlichen Literatur ist die Frage, ob § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG anwendbar ist, wenn die Voraussetzungen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG gegeben sind, umstritten. Das Bundesarbeitsgericht geht hingegen – freilich ohne auf den Meinungsstreit einzugehen – von einer gleichzeitigen Anwendung beider Vorschriften aus und prüft daher beide Tatbestände nebeneinander (biometrische Zugangskontrolle, siehe auch § 5 Rdn 20 ff.).
2. Ordnungsverhalten
Rz. 49
Das Bundesarbeitsgericht unterscheidet im Geltungsbereich des Mitbestimmungsrechts nach Nr. 1 zwischen dem mitbestimmungspflichtigen so genannten Ordnungsverhalten und dem nicht mitbestimmten Arbeitsverhalten. Einigkeit besteht darüber, dass unter das Ordnungsverhalten verbindliche Verhaltensvorschriften für die Arbeitnehmer fallen. Vor Einführung des Internets wurden dementsprechend auch Regelungen über die private Nutzung des Telefons dem Ordnungsverhalten zugeordnet wie auch Vorschriften über das Radiohören im Betrieb. In Anwendung dieser Grundsätze wird die Ausgestaltung der privaten Nutzung des Internets überwiegend dem mitbestimmungspflichtigen Ordnungsverhalten zugeordnet. Die Regelung allein der dienstlichen Nutzung ist daher nicht mitbestimmungspflichtig. Nach Auffassung des OVG Berlin-Brandenburg betrifft die Einrichtung und Anweisung von Vertretungszugriffen auf dienstlich genutzte E-Mail-Postfächer der Kollegen das Ordnungs- und nicht das Arbeitsverhalten der Beschäftigten. Dem ist aber nicht zuzustimmen, denn die Anweisung, wer wen im Hinblick auf die Arbeitsleistung vertritt, betrifft unmittelbar das Arbeitsverhalten und nicht die Ordnung des Betriebes.
Rz. 50
Abzugrenzen von Regelungen über die bloße dienstliche Nutzung des Internets ist die immer weiter verbreitete Ausgestaltung von sogenannten "Social-Media-Richtlinien" (siehe § 10 Rdn 85 f.). Derartige Richtlinien regeln verbindlich die Nutzung von betrieblichen Social-Media-Accounts, insbesondere ein gewünschtes Auftreten nach außen. Da der Social-Media-Auftritt von Betrieben und Unternehmen mittlerweile ein nicht zu unterschätzendes Aushängeschild darstellt, wird auch von Arbeitgeberseite verstärkt auf die Einhaltung von vorgeschriebenen Verhaltensweisen geachtet. Derartige Social-Media-Richtlinien, die ein bestimmtes Auftreten im Internet vorschreiben und mit einer "Nettiquette" verbinden, konkretisieren das Arbeitsverhalten der Arbeitnehmer und können damit die Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG auslösen.
Rz. 51
Bisher höchstrichterlich ungeklärt ist die Frage, ob Arbeitsformen wie das Desk-Sharing der Mitbestimmung gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG unterfallen. Denkbar wäre dies beispielsweise bei einer sogenannten "Clean-Desk-Policy", also der Anordnung, nach Beendigung der Arbeitszeit einen aufgeräumten Tisch zu hinterlassen. Derweil erscheint es überzeugender, hierunter die mitbestimmungsfreie Konkretisierung der Arbeitspflicht zu sehen, auch wenn die Trennlinie zwischen der mitbestimmungsfreien Konkretisierung der Arbeitspflicht und dem mitbestimmten Ordnungsverhalten bei der Einführung von Desk-Sharing nicht ganz scharf ist.
Rz. 52
Praxishinweis
Der Mitbestimmungstatbestand nach Nr. 1 hat in der Praxis bei der Einführung des Internets kaum Bedeutung. Maßgeblich ist die Beteiligung des Betriebsrats nach Nr. 6. Dort werden die wesentlichen Belange der Arbeitnehmer durch den Betriebsrat wahrgenommen. Eigenständige Bedeutung kommt deshalb der Nr. 1 regelmäßig nicht zu.