Rz. 88
Das Handelsabkommen enthält einen allgemeinen Grundsatz der Meistbegünstigung. Danach dürfen Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich in der Europäischen Union nicht schlechter behandelt werden als Unternehmen aus Drittstaaten.
Rz. 89
Der Grundsatz der Meistbegünstigung könnte auch für die Anerkennung von Kapitalgesellschaften aus dem Vereinigten Königreich von Bedeutung sein. Deutschland erkennt Kapitalgesellschaften aus anderen EU- bzw. EWR-Mitgliedstaaten und den USA auch dann an, wenn diese ohne Einhaltung der deutschen Gründungsvorschriften errichtet worden sind. Daraus könnte gefolgert werden, dass diese Meistbegünstigung von Gesellschaften aus anderen Staaten künftig auch für Gesellschaften aus dem Vereinigten Königreich gilt.
Rz. 90
Dafür spricht insbesondere die Rechtsprechung des BGH zur Meistbegünstigungsklausel in dem deutsch-amerikanischen Handelsabkommen aus dem Jahr 1954. In dem dortigen Art. XXV Abs. 4 und 5 ist u.a. Folgendes geregelt:
Zitat
4. Der Ausdruck "Meistbegünstigung" bedeutet die innerhalb des Gebiets eines Vertragsteils gewährte Behandlung, die nicht weniger günstig ist als diejenige, die dort unter gleichartigen Voraussetzungen den Staatsangehörigen, Gesellschaften, Erzeugnissen, Schiffen und sonstigen Objekten jeglicher Art irgendeines dritten Landes gewährt wird.
5. Der Ausdruck "Gesellschaften" in diesem Vertrag bedeutet Handelsgesellschaften, Teilhaberschaften sowie sonstige Gesellschaften, Vereinigungen und juristische Personen; dabei ist es unerheblich, ob ihre Haftung beschränkt oder nicht beschränkt und ob ihre Tätigkeit auf Gewinn oder nicht auf Gewinn gerichtet ist. Gesellschaften, die gemäß den Gesetzen und sonstigen Vorschriften des einen Vertragsteils in dessen Gebiet errichtet sind, gelten als Gesellschaften dieses Vertragsteils; ihr rechtlicher Status wird in dem Gebiet des anderen Vertragsteils anerkannt.
Auf der Grundlage dieser staatsvertraglichen Regelung hat der BGH die für Gesellschaften aus anderen EU- bzw. EWR-Staaten geltende Gründungstheorie auch auf Gesellschaften aus den USA übertragen.
Rz. 91
Die Meistbegünstigungsklausel in dem Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich ist grundsätzlich in gleicher Weise auszulegen. (Echte) Auslandsgesellschaften sind daher nach Maßgabe der Gründungstheorie grundsätzlich anzuerkennen. Grundlage für die Anerkennung ist seit dem 1.1.2021 nicht mehr die europarechtliche Niederlassungsfreiheit, sondern die abkommensrechtliche Meistbegünstigung. Für (unechte) Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) gilt dies dagegen nicht, da der Anwendungsbereich des Handelsabkommens insoweit nicht eröffnet ist.
Der Annex 1 Severin 1 Nr. 10 des Handelsabkommens steht dieser Auslegung nicht entgegen. Dort findet sich nur eine klarstellende Regelung zur Bedeutung der "Inländerbehandlung", nicht aber zur Meistbegünstigung.