Rz. 73
Der Begriff der "substantive business operations" findet sich in ähnlicher Weise auch in vielen anderen Handelsabkommen. Im Allgemeinen soll dadurch eine missbräuchliche Ausnutzung des jeweiligen Abkommens verhindert werden. Der Schutz von Handelsabkommen soll grundsätzlich nur für ausländische Handelsgesellschaften gelten, nicht aber auch für Pseudo-Auslandsgesellschaften bzw. Briefkastengesellschaften.
Rz. 74
Eine ähnliche Auslegung dürfte auch für das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich sachgerecht sein. Ziel der Vertragsparteien ist der Schutz solcher Gesellschaften, die in dem anderen Vertragsstaat tatsächlich und dauerhaft wirtschaftlich tätig sind. Dafür müssen die Unternehmen über eine gewisse Substanz und Ausstattung verfügen. Die formale Registrierung der Gesellschaft genügt insoweit nicht.
Plakativ gesprochen: Ein bloßer "Briefkasten" betreibt noch keinen Handel, so dass eine "Briefkastengesellschaft" auch keinen Schutz eines Handelsabkommens benötigt.
Rz. 75
Die Konkretisierung der "substantive business operations" wird in vielen Fällen schwierig und streitanfällig sein. Grundsätzlich dürfte insoweit eine Gesamtbeurteilung aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände des jeweiligen Einzelfalls maßgebend sein. Dabei können u.a. auch folgende Indizien zu berücksichtigen sein:
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Art und Umfang der Betriebsstätten, |
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Dauer des Bestehens der Niederlassung, |
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Anzahl und Größe von Büros und sonstigen Räumlichkeiten, |
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Bestehen von (langfristigen) Mietverträgen, |
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Anzahl, Tätigkeit und Qualifikation der Mitarbeiter, |
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Art und Anzahl von Kunden, Lieferanten und Geschäftspartnern, |
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Höhe des investierten Kapitals und der sonstigen Betriebsmittel, |
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Bestehen von Gewerbe- und Betriebserlaubnissen, |
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Mitgliedschaft in (örtlichen) Handelskammern oder Verbänden, |
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Art und Höhe der erwirtschafteten Umsätze und Gewinne, |
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Höhe der tatsächlich gezahlten Abgaben, Steuern und Gebühren. |
Rz. 76
Bei einer umfassenden Betrachtung aller dieser Indizien zeigt sich in aller Regel, ob ein Unternehmen eine echte geschäftliche Verbindung zu einem Vertragsstaat hat oder diese nur auf dem Papier (und zum Schein) besteht. Besonders Gewicht dürfte dabei solchen Umständen zukommen, die von den betroffenen Unternehmen nicht selbst ohne Weiteres gestaltbar sind (wie etwa die tatsächliche Zahlung von Gehältern an lokale Mitarbeiter oder die Abführung von Steuern an örtliche Behörden).
Rz. 77
Im Ergebnis dürfte die Hürde für "substantive business operations" im Vereinigten Königreich nicht allzu hoch sein. Ein bloßer Briefkasten genügt dafür aber nicht.