1. Ausgangssituation
Rz. 99
Bei den unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) handelt es sich um englische private limited companies mit Satzungssitz im Vereinigten Königreich und Verwaltungssitz in Deutschland, die in aller Regel ausschließlich in Deutschland (und nicht auch im Vereinigten Königreich) tätig sind.
Rz. 100
Die Rechtslage für die unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) hat sich mit Wirkung zum 1.1.2021 grundlegend geändert. Die europäische Niederlassungsfreiheit gilt nicht mehr und das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich findet auf für unechte Auslandgesellschaften keine Anwendung (siehe Rdn 41 ff.).
Die unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) werden aus deutscher Sicht seit dem 1.1.2021 nicht mehr als Kapitalgesellschaften anerkannt. Eine (europarechtliche oder abkommensrechtliche) Verpflichtung zu einer solchen Anerkennung besteht nicht mehr. Vielmehr erfolgt bei den unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) aus deutscher Sicht eine rechtliche Umqualifizierung in eine Personengesellschaft bzw. ein Einzelunternehmen.
2. Grundlagen
a) Kein Bestandsschutz
Rz. 101
Die neuen Regeln gelten einheitlich für alle unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften). Es macht rechtlich keinen Unterschied, ob die Gesellschaften vor oder nach dem 1.1.2021 gegründet worden sind. Für bestehende Gesellschaften gibt es keinen Bestands- oder Vertrauensschutz. Es ist weder europarechtlich noch verfassungsrechtlich geboten, unechte Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) auch nach dem 1.1.2021 weiterhin als Kapitalgesellschaften anzuerkennen.
b) Kein Statutenwechsel
Rz. 102
Bei den unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) ist es zum 1.1.2021 zu einer Statutenverdopplung gekommen, nicht dagegen zu einem Statutenwechsel.
Aus englischer Sicht handelt es sich bei der private limited company unverändert um eine englische Kapitalgesellschaft mit Haftungsbeschränkung. Lediglich aus deutscher Sicht wird die englische private limited company seit dem 1.1.2021 als Personengesellschaft (bzw. Einzelunternehmen) behandelt, bei der die Gesellschafter (bzw. der Inhaber) persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften.
Rz. 103
Das maßgebliche Gesellschaftsstatut ist aus englischer Sicht englisches Gesellschaftsrecht und aus deutscher Sicht deutsches Gesellschaftsrecht. Die rechtliche Doppelnatur führt zu zahlreichen Konflikten und Problemen.
c) Kein Rechtsformwechsel
Rz. 104
Bei den unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) ist es zum 1.1.2021 nicht zu einem Rechtsformwechsel gekommen.
Aus der Sicht des englischen Rechts handelt es sich bei der private limited company unverändert um eine englische Kapitalgesellschaft. Eine Änderung der Rechtsform ist nicht erfolgt. Aus der Sicht des deutschen Rechts gilt für die unechten Auslandsgesellschaften (Scheinauslandsgesellschaften) seit dem 1.1.2021 nicht mehr die Gründungstheorie, sondern wieder die Sitztheorie. Eine solche englische private limited company ist demnach nicht mehr als Kapitalgesellschaft zu behandeln, da die deutschen Vorschriften für die Gründung von Kapitalgesellschaften nicht eingehalten worden sind. Die englische private limited company wird demnach in Deutschland nicht als Kapitalgesellschaft (mit Haftungsbeschränkung), sondern als Personengesellschaft (ohne Haftungsbeschränkung) qualifiziert.
Rz. 105
Bei einer Mehrpersonen-Limited ist insoweit von einer offenen Handelsgesellschaft (bei einer kaufmännischen Tätigkeit) bzw. einer Gesellschaft des bürgerlichen Rechts (bei einer nicht kaufmännischen Tätigkeit) auszugehen. Bei einer Einpersonen-Limited liegt aus deutscher Sicht ein eingetragener Kaufmann (bei einem Handelsgewerbe) bzw. ein sonstiges Einzelunternehmen (bei nicht kaufmännischer Tätigkeit) vor.
Rz. 106
Diese Umqualifizierung ist aber allein eine andere rechtliche Beurteilung der englischen private limited company. Die englische private limited company hat ihre Rechtsform selbst nicht geändert, und zwar weder durch Beschluss noch durch Umwandlung.
Rz. 107
Die Gesellschaft führt somit auch insoweit ein "Doppelleben": Einerseits handelt es sich um eine Kapitalgesellschaft englischen Rechts und andererseits um eine Personengesellschaft deutschen Rechts (bzw. ein Einzelunternehmen deutschen Rechts).
Ein Rechtsformwechsel der (englischen) Kapitalgesellschaft in eine (deutsche) Personengesellschaft ist nicht erfolgt. Ein solcher Rechtsformwechsel ist weder von den Gesellschaftern beschlossen worden noch vom Gesetzgeber angeordnet worden. Für einen solchen Rechtsformwechsel gäbe es auch keine Rechtsgrundlage.
Rz. 108
Die Vorschriften des deutschen Umwandlungsgesetzes zum Formwechsel (siehe §§ 190 ff. UmwG) können insoweit nicht angewendet werd...