Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 79
Der Arzthaftungsprozess zeichnet sich insbesondere durch die von der Rspr. geschaffenen Erleichterungen hinsichtlich der Substantiierungslast und Beweislast des Patienten aus.
Mit diesen Erleichterungen soll die in der Regel schwächere Position des Patienten, dem die Sachkunde und der Einblick in den Behandlungsablauf fehlen, ausgeglichen werden.
Zur Verwirklichung der Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Waffengleichheit sollen an die Schlüssigkeit des Vorbringens und die Erheblichkeit der Einlassung gegenüber dem Vorbringen des Arztes nicht die sonst üblichen Maßstäbe angelegt werden.
Deutsch, NJW 2000, 1745, 1748:
Zitat
Im Arzthaftungsprozess braucht der Kläger einen von ihm behaupteten Fehler nicht in allen Einzelheiten darzulegen. Es genügt, dass er konkrete Verdachtsgründe angibt. Dann hat das Gericht die Krankenhausunterlagen beizuziehen und das Gutachten eines Sachverständigen einzuholen. Es wäre eine Überspannung der Substantiierungspflicht, wenn der Patient bei der Klage gegen den Arzt die einzelnen Mängel jedem besonderen Arbeitsschritt zuordnen müsste. Trotz des Entgegenkommens der Rechtsprechung schon bei der Darlegung und Beweisführung bleibt dem Patienten doch ein erheblicher Druck aus seiner Beweissituation.
Das Vorbringen des Patienten muss lediglich in groben Zügen erkennen lassen, welches tatsächliche ärztliche Verhalten fehlerhaft gewesen sein und welcher Schaden sich daraus ergeben soll. Es reicht aus, dass er Verdachtsgründe vorträgt, aus denen sich ein ärztlicher Fehler ergeben soll. Der Arzt andererseits darf sich auch gegenüber einem unvollständigen und ungenauen Vortrag nicht auf ein bloßes Bestreiten zurückziehen, da ihm näherer Vortrag möglich und zumutbar ist.
BGH NJW 2004, 2825:
Zitat
Auch nach der Reform der Zivilprozessordnung dürfen beim Vortrag zu medizinischen Fragen im Arzthaftungsprozess an den Vortrag zu Einwendungen gegen ein Sachverständigengutachten ebenso wie an den klagebegründenden Sachvortrag nur maßvolle Anforderungen gestellt werden. […]
Der Patient und sein Prozessbevollmächtigter sind nicht verpflichtet, sich zur ordnungsgemäßen Prozessführung medizinisches Fachwissen anzueignen.
Rz. 80
Die Erleichterungen hinsichtlich der Substantiierungspflicht finden noch eine Ergänzung darin, dass abweichend von der Parteimaxime dem Gericht zugunsten des Patienten eine gesteigerte Verpflichtung zur Sachaufklärung auferlegt wird.
Über die Verfahrensgrundsätze des Parteiprozesses hinaus muss es den Patienten durch Fragen und Hinweise zu einer Ergänzung seines Sachvortrages auffordern. Medizinische Einzelheiten dürfen in dem Sachvortrag des Patienten nicht verlangt werden.
Das Gericht hat zu beachten, dass die Schilderung einer nicht medizinisch gebildeten Partei nicht ohne Weiteres als unstreitiger Vortrag gewertet werden darf; vielmehr muss der Patient u.U. in Gegenwart eines Sachverständigen befragt werden, was er aus eigenen Krankheitsempfindungen zu schildern weiß, damit daraus ein medizinisch verwertbarer Befund gebildet werden kann.
Das LG München I wendet diese Grundsätze auch auf das Verhältnis des Versicherungsnehmers zu seinem Versicherer an.
LG München I NVersZ 2000, 568:
Zitat
Beim Prozess eines medizinischen Laien gegen seine Krankenversicherung hat das Gericht Defizite im Vortrag, die sich aus mangelnder Sachkunde ergeben, durch entsprechende Hinweise auszugleichen und dem von vornherein gegebenen Ungleichgewicht der Parteien im Fachwissen über medizinische Behandlungsmethoden durch eine gewisse Großzügigkeit auch gegenüber pauschalierten Beweisangeboten zu begegnen.
Rz. 81
Allerdings sind die Gerichte, insbesondere die auf Arzthaftung spezialisierten Kammern und Senate, nicht ausschließlich amtsermittelnd zugunsten der Patienten tätig. So ist es z.B. weit verbreitete Praxis, dem klagenden Patienten gleich zu Beginn des Rechtsstreits aufzugeben, Nachbehandlungsunterlagen vorzulegen, um anhand derer dem verklagten Arzt seine Verteidigung zu erleichtern.
Rz. 82
Fast in jeder Arzthaftungssache hat das Gericht von Amts wegen einen Sachverständigen beizuziehen. Reicht der Sachvortrag des Patienten als Grundlage für ein Sachverständigengutachten nicht aus, hat das Gericht von sich aus die erforderlichen zusätzlichen Tatsachen zu ermitteln.
Geht es um die Frage, ob ein Patient bei zutreffender und vollständiger Aufklärung in eine Operation eingewilligt hätte, soll es nach BGH verfahrensfehlerhaft sein, wenn das Gericht nicht gemäß § 141 ZPO (vgl. Rdn 98 ff.) sein persönliches Erscheinen zur Klärung der Frage anordnet, ob er in nachvollziehbarer Weise einen für ihn bestehenden Entscheidungskonflikt darlegen kann. Zur Beweislast im Arzthaftungsprozess vgl. § 5 Rdn 282 ff.