Dr. iur. Christian Saueressig
I. Was muss eine Partei vortragen?
Rz. 3
Durch ihren Klageantrag hat sie das Klageziel selbstständig und frei bestimmt. Es ist nun an ihr, Tatsachen vorzutragen, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Die beklagte Partei genügt bei einem von ihr zur Rechtsverteidigung gehaltenen Sachvortrag ihren Substantiierungspflichten, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das von der anderen Seite geltend gemachte Recht als nicht bestehend erscheinen zu lassen. Die Anforderungen an das "Was" des Vortrages bestimmen sich also nach den Gesetzen des materiellen Rechts, in der Auslegung, die sie durch die Rechtspraxis erfahren haben.
Da Darlegungs- und Beweislast sich aufeinander beziehen, ist für die Frage, was eine Partei zur Begründung ihres Prozessantrages vorzutragen hat, schon für dessen Schlüssigkeit oder Erheblichkeit von Bedeutung, ob die Beweislast eine besondere gesetzliche Regelung gefunden hat. Das ist z.B. in §§ 179, 280, 363 BGB der Fall. Wird also etwa jemand als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach § 179 BGB in Anspruch genommen, ergibt sich aus der Regelung des § 179 Abs. 1 BGB, wonach ihn die Beweislast für seine Vertretungsmacht trifft, dass er auch Tatsachen vorzutragen hat, die seine Vollmacht begründen können.
Gibt es keine ausdrückliche gesetzliche Regelung, gilt der eingangs erwähnte Grundsatz, dass Tatsachen vorzutragen sind, die geeignet sind, das geltend gemachte Recht als entstanden erscheinen zu lassen. Der Vortrag muss schlüssig, substantiiert und nicht ins Blaue erfolgen.
Das bedeutet in seiner praktischen Anwendung:
Macht etwa der Kläger einen Anspruch auf Zahlung eines Kaufpreises geltend, so genügt er seiner Darlegungslast zunächst damit, dass er den Abschluss eines Kaufvertrages behauptet, der einen Anspruch in Höhe seiner Klageforderung zu begründen geeignet ist. Sein Vorbringen muss nur dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügen; es muss klargestellt sein, über welchen Kaufgegenstand eine Entscheidung getroffen werden soll, damit es keinen Zweifel darüber geben kann, welche Streitsache mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung so abgeschlossen ist, dass sie nicht wieder aufgegriffen werden kann.
Rz. 4
Darüber hinaus bedarf es zunächst keines weiteren Vortrages zu Zeit, Ort und näheren Umständen des Vertragsabschlusses. Das ändert sich erst, wenn der Beklagte seinerseits auf die Klage erwidert hat. In welchem Umfang der Kläger nun sein Vorbringen zergliedern und spezifizieren muss, beantwortet sich nach seiner Substantiierungslast, vgl. Rdn 40 ff.
Ob der Kläger von dem Recht des zunächst knappen Vortrags Gebrauch macht, ist eine Frage der Ökonomie und der Taktik. Auf der einen Seite wird es arbeitssparend sein, schon in der Klageschrift auf die aus der Vorkorrespondenz bekannten oder zu erwartenden Einwendungen einzugehen. Andererseits kann es hilfreich sein, zunächst einmal abzuwarten, über welche Informationen der Gegner verfügt und welche Marschroute er verfolgt.
Rz. 5
Der Vortrag sog. negativer Tatsachen – beispielsweise die nicht rechtzeitige Übergabe eines Emissionsprospekts oder das Fehlen eines Rechtsgrunds bei § 812 BGB – stellt die Partei regelmäßig vor besondere Herausforderungen. Regelmäßig wird diese Not der beweisbelasteten Partei nicht durch eine Beweislastumkehr oder eine Herabsetzung des Beweismaßes, sondern durch eine gesteigerte Substantiierungspflicht des Beweisgegners gemildert. So trägt beispielsweise der geschädigte Anleger für die nicht rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospekts die Darlegungs- und Beweislast. Die mit dem Nachweis der negativen Tatsache der fehlenden Prospektübergabe verbundenen Schwierigkeiten werden dadurch ausgeglichen, dass die andere Partei die behauptete fehlende Übergabe substantiiert bestreiten muss. Im Regelfall geschieht dies durch die Darlegung, wann und unter welchen Umständen der Prospekt übergeben wurde.
Bei Ansprüchen aus Bereicherungsrecht muss beispielsweise auch der Bereicherungsgläubiger das Fehlen des rechtlichen Grundes darlegen und beweisen. Das gilt für die Leistungs- wie Eingriffskondiktion. Dies gilt nach Ansicht des BGH auch für Rechtsgründe, die der Empfänger zur Verteidigung gegen die Herausgabepflicht hilfsweise vorträgt. Der Bereicherungsgläubiger soll allerdings nicht gehalten sein, alle theoretisch in Betracht kommenden Rechtsgründe auszuschließen, sondern sich darauf beschränken dürfen, die vom Empfänger geltend gemachten Rechtsgründe auszuräumen.
BGH NJW-RR 2009, 1142, 1144:
Zitat
Wer einen Anspruch geltend macht, muss das Risiko einer Klagabweisung tragen, wenn sich die sein Begehren tragenden Tatsachen nicht feststellen lassen. Hieraus folgt, dass grundsätzlich derjenige alle anspruchsbegründenden Tatsachen behaupten und im Bestreitensfalle nachweisen muss, der den Anspruch – sei es im Wege der Klage, sei es zum Zwecke der Aufrechnung – geltend macht. Dieser Grundsatz gilt auch, soweit...