Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 29
Das Gericht braucht einer ins Blaue hinein aufgestellten Behauptung nicht nachzugehen; ihre Nichtbeachtung verletzt auch nicht den Anspruch der Parteien auf Gewährung rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG. Ins Blaue hinein ist eine Behauptung aufgestellt, wenn ihr jegliche Anhaltspunkte fehlen, sie aus der Luft gegriffen ist und aufs Geratewohl aufgestellt wird. Darin liegt ein Fall von Willkür oder Rechtsmissbrauch, mit einem solchen Vorbringen braucht nicht nur das Gericht sich nicht zu beschäftigen, sondern auch der Prozessgegner ist davor zu bewahren, sich darauf einlassen zu müssen. Ihm ist nicht zuzumuten, sich mit einem Vorbringen auseinanderzusetzen, das an den Haaren herbeigezogen ist.
BGH NJW-RR 2005, 1450, 1451:
Zitat
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Ablehnung eines für eine beweiserhebliche Tatsache angetretenen Beweises zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen so ungenau bezeichnet sind, dass ihre Erheblichkeit nicht beurteilt werden kann, oder wenn sie zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber aufs Geratewohl gemacht, gleichsam "ins Blaue hinein" aufgestellt, mit anderen Worten, aus der Luft gegriffen sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen.
Es ist also nicht nur ein solches Vorbringen von der Beweiserhebung ausgeschlossen, das auf das Geratewohl hin erfolgt, sondern auch ein solches, das zu ungenau ist.
Rz. 30
Was für das Behaupten gilt, gilt auch für das Bestreiten.
OLG Köln MDR 1992, 79:
Zitat
Auf eigene Faust darf der Prozessbevollmächtigte einer Partei urkundlich belegten Vortrag der Gegenseite nicht bestreiten. Ein solches Bestreiten "ins Blaue hinein" ohne Information der vertretenen Partei ist prozessual unbeachtlich und veranlasst keine Beweisaufnahme.
Rz. 31
Der Anwalt, der im Verhandlungstermin vom Gegner mit neuem Vorbringen überrascht wird, kann dieses also nicht "vorsorglich" bestreiten, ohne seinen Mandanten danach zu befragen, ob dieser über Informationen verfügt, vgl. § 1 Rdn 27 ff. Denn ein Anwalt unterliegt ebenso wie sein Mandant der Wahrheitspflicht des § 138 ZPO.
Selbst wenn ein Bestreiten mit Nichtwissen nach § 138 Abs. 4 ZPO in Betracht kommt, hat der Anwalt zunächst durch Rücksprache zu klären, ob sein Mandant, auf dessen Wissen oder Nichtwissen es ankommt, über Informationen verfügt. Das Bestreiten des nicht informierten Anwalts "ins Blaue hinein" ist unbeachtlich.
Rz. 32
Das Gericht hat in der Annahme der Willkür und des Rechtsmissbrauchs von Vorbringen Zurückhaltung zu üben; niemand soll voreilig seines Rechtes beschnitten werden, seine eigenen Interessen zu vertreten. Im Einzelnen:
BGH NJW 1995, 2111, 2112:
Zitat
Allerdings konnte das BerGer die nicht näher dargelegte Behauptung des Klägers als Vermutung werten. Das steht jedoch, wie die Revision zutreffend geltend macht, der Zulässigkeit des Beweisantritts nicht entgegen […]. Es wird einer Partei häufig nicht erspart bleiben, im Zivilprozess Tatsachen zu behaupten, über die sie keine genauen Kenntnisse haben kann, die sie aber nach der Lage der Dinge für wahrscheinlich hält. Unzulässig wird ein solches prozessuales Vorgehen erst dort, wo die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhaltes willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt […]. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können [...].
BGH NJW 1995, 1160, 1161:
Zitat
Aber auch dann, wenn eine Partei mangels Kenntnis von Einzeltatsachen nicht umhin kann, von ihr zunächst nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einzuführen, liegt regelmäßig keine unzulässige "Ausforschung" vor […]
BGH NJW-RR 2015, 829:
Zitat
1. |
Bei der tatrichterlichen Annahme, eine Partei stelle willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" auf, ist grundsätzlich Zurückhaltung geboten; diese Annahme lässt sich in der Regel nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen. |
2. |
Für das Vorliegen eines hinreichend bestimmten Beweisantrags ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass die Partei das Beweisergebnis im Sinne einer vorweggenommenen Beweiswürdigung wahrscheinlich macht. |
3. |
Eine Partei ist nicht gehindert, ihr Vorbringen im Laufe des Rechtsstreits zu ändern, insbesondere zu präzisieren, zu ergänzen oder zu berichtigen. Darum können für einen Klageantrag, sofern nicht eine bewusste Verletzung der Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) gegeben ist, in tatsächlicher Hinsicht widersprechende Begründungen gegeben werden, wenn das Verhältnis dieser Begründungen zueinander klargestellt ist, sie also nicht als ein einheitliches Vorbringen geltend gemacht werden. |
BGH NJW-RR 1991, 888, 890f.:
Zitat
Unzulässig sind lediglich Beweisantritte, die darauf zielen, erst aufgrund der Beweisaufnahme die zur Konkretisierung des Parteivorbri...