Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 34
Behauptungen des Gegners über Tatsachen, "die weder eigene Handlungen der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind", darf sie mit Nichtwissen bestreiten, § 138 Abs. 4 ZPO. Sie wird also nicht gezwungen, zur Wahrnehmung ihrer Interessen zu behaupten, das Vorbringen des Gegners sei falsch, sondern kann sich generell auf ein Bestreiten mit Nichtwissen zurückziehen, wenn sie nicht positiv um die Wahrheit des Vorbringens des Gegners weiß.
Nach BGH MDR 2019, 242 schadet es der mit Nichtwissen bestreitenden Partei nicht, wenn sie substantiiert zu Bestreiten versucht und dabei "über das Ziel hinausschießt" und (ohne Not) eine Behauptung ins Blaue hinein aufstellt:
Zitat
War eine Tatsachenbehauptung der Gegenseite weder eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung, steht die Erklärung mit Nichtwissen in ihrer Wirkung dem schlichten Bestreiten gleich und schließt die Zulässigkeit einer solchen Erklärung die Verpflichtung der Partei zu einem substantiierten Bestreiten aus. Unternimmt diese Partei gleichwohl den Versuch, ihr Bestreiten näher zu begründen, führt das auch dann nicht zur Unbeachtlichkeit ihrer Erklärung mit Nichtwissen, wenn sie dabei eine Behauptung ins Blaue hinein aufstellt.
Durch ein zulässiges Bestreiten mit Nichtwissen erhöhen sich die Substantiierungsanforderungen für die andere Partei im Übrigen nicht. Es führt allein dazu, dass die mit Nichtwissen bestrittene Behauptung beweisbedürftig wird.
Rz. 35
Behauptet eine Partei einen Sachverhalt, der Gegenstand der Wahrnehmung des Gegners gewesen sein soll, kann dieser allerdings auch dann noch mit Nichtwissen bestreiten, wenn er die Wahrheit des gegnerischen Vorbringens nicht schlechthin in Abrede stellen will, sich aber nicht mehr genau erinnern kann. Nach Auffassung des BGH ist dazu erforderlich, dass die fragliche Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können. Allerdings muss die Partei die ihr gegebenen Möglichkeiten ausnutzen, ihr Wissen wieder aufzufrischen, indem sie eigene Unterlagen prüft oder gegebenenfalls auch Erkundigungen bei dritten Personen einholt, vgl. dazu Rdn 36. Über die Bemühungen hierüber ist die Partei dann wiederum darlegungs- und beweisbelastet.
BGH NJW 1995, 130, 131:
Zitat
Einer Partei ist es grundsätzlich gemäß § 138 Abs. 4 ZPO verwehrt, eigene Handlungen und Wahrnehmungen mit Nichtwissen zu bestreiten. Nur ausnahmsweise kommt ein Bestreiten eigener Handlungen und Wahrnehmungen in Betracht, wenn die Partei nach der Lebenserfahrung glaubhaft macht, sich an gewisse Vorgänge nicht mehr erinnern zu können […]. Die bloße Behauptung, sich nicht zu erinnern, reicht indessen nicht aus. Ferner scheidet ein Bestreiten mit Nichtwissen aus, wenn eine Partei in ihrem eigenen Unternehmensbereich Erkundigungen einziehen kann […]
Beruht ein Nichtwissen auf eigenem Verschulden, ist es wie eine Beweisvereitelung zu behandeln. Beim Bestreiten mit Nichtwissen wird grundsätzlich auf den Zeitpunkt abgestellt, in dem sich die Partei im Prozess zu erklären hat.
Rz. 36
Über den Wortlaut des Gesetzes hinaus legt die Rspr. den Parteien Informationspflichten auf, wenn es ihnen zumutbar ist, sich die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen. So muss sich eine Prozesspartei durch Studium von Urkunden kundig machen; sie muss den Ehegatten, Mitarbeiter sowie den Zedenten, und der Insolvenzverwalter muss den Insolvenzschuldner sowie seinen Amtsvorgänger befragen. Generell wird einer Partei zugemutet, Erkundigungen einzuziehen, wenn andere Personen unter Aufsicht oder Anleitung der Partei gearbeitet haben. Kommt es bei einem Verkehrsunfall auf besondere Bedingungen der Örtlichkeit an, wird ihr eine Augenscheinnahme zugemutet.
Der Befragung von Mitarbeitern steht nicht entgegen, dass diese für den Rechtsstreit als Zeugen in Betracht kommen. Liegt ein gegnerisches Sachverständigengutachten vor oder ein gleichwertig substantiierter Vortrag der gegnerischen Partei, kann dieser, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO vorliegen, trotzdem mit Nichtwissen bestritten werden.
Auch bei Bestehen einer Informationspflicht ist eine Erklärung mit Nichtwissen im Ergebnis aber dann zulässig, wenn sich für die Partei nach Einholen der Erkundigungen bei den maßgeblichen Personen keine weiteren Erkenntnisse ergeben oder die Partei nicht beurteilen kann, welche von mehreren unterschiedlichen Darstellungen über den Geschehensablauf der Wahrheit entspricht, und sie das Ergebnis ihrer Erkundigungen in den Prozess einführt.
Rz. 37
Beispiele aus der Rspr. zum Bestreiten mit Nichtwissen:
Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass der frühere Geschäftsführer einer GmbH aus §§ 823 Abs. 2 BGB, § 266a StGB auf Schadensersatz in Anspruch genommen kann, weil er die Arbeitnehmeranteile nicht zur Sozialversicherung abgeführt hat und in diesem Fall die Höhe der nicht abgeführten Arbeitnehmeranteile nicht mit...