Dr. iur. Christian Saueressig
Rz. 38
Ist eine Entscheidung in Rechtskraft erwachsen, kann derselbe Streitgegenstand nicht mehr Gegenstand eines weiteren Verfahrens sein, § 325 ZPO. Einem darauf gerichteten Antrag steht das Wiederholungsverbot entgegen; der Antrag ist unzulässig. Das Problem liegt nun darin, abzugrenzen, wann von einer Identität der Streitgegenstände auszugehen ist. Die h.M. bestimmt den Streitgegenstand von dem Antrag des Klägers und dem zugrundeliegenden Lebenssachverhalt her. Entscheidend ist, ob die dem Gericht in dem zweiten Verfahren vorgetragenen Tatsachen zu dem Lebenssachverhalt gehören, der bereits den Streitgegenstand des ersten Prozesses bildete. Dabei ist von einer natürlichen Betrachtungsweise auszugehen, orientiert am Standpunkt der Parteien bzw. an der allgemeinen Verkehrsanschauung. Stützt eine Partei ihren Zahlungsanspruch auf einen Kaufvertrag und kann sie dessen Abschluss nicht beweisen, kann sie eine spätere Klage nicht mehr auf ungerechtfertigte Bereicherung stützen. Denn das Gericht hätte auch schon nach dem bisherigen Sachvortrag (eine entsprechende Aufklärung gemäß § 139 Abs. 2 ZPO vorausgesetzt) der Klage aus ungerechtfertigter Bereicherung entsprechen können.
Noch klarer wird das Problem durch die Ausführungen von Musielak, NJW 2000, 3593, 3596 zu BGH NJW 2000, 590:
Zitat
Ist eine Klage deshalb abgewiesen worden, weil die Fälligkeit der geltend gemachten Forderung vom Gericht verneint wurde, dann kann nach Eintritt der Fälligkeit erneut die Forderung eingeklagt werden. War jedoch Grund für die Klageabweisung, dass der Kläger keine nachvollziehbare Abrechnung vorlegen konnte und deshalb sein Anspruch nicht schlüssig begründet war, dann kann er nicht nach Erstellung einer neuen Abrechnung seine Klage wiederholen [OLG Düsseldorf NJW 1993, 802, 803]. Die nachträglich erstellte Abrechnung schafft zwar eine neue Tatsache, ändert aber nichts an der rechtskräftig getroffenen Feststellung, dass dem Kläger kein Anspruch gegen den Beklagten zusteht [...] Anders als bei der fehlenden Fälligkeit, bei der die Klage als nur zur Zeit nicht begründet erscheint, ist die Abweisung wegen der fehlenden Abrechnung endgültig und deshalb auch nicht dem Kläger vorbehalten, nachträglich die fehlende Schlüssigkeit seiner Klage herbeizuführen [...]
Rz. 39
Zur weiteren Veranschaulichung ein vom BGH entschiedener Fall:
Ein Architekt hatte eine Honorarklage auf eine (mangels Schriftform unwirksame) Pauschalpreisvereinbarung gestützt, die abgewiesen worden war. Nunmehr verlangte er mit einer neuen Klage das nach der HOAI zulässige Mindesthonorar. Diese wurde vom OLG unter Berufung auf die Rechtskraft des Vorprozesses abgewiesen. Der BGH ließ zwar gelten, dass zwei gleiche Streitgegenstände vorlagen, das OLG habe jedoch nicht beachtet, dass die Klage des Vorprozesses nur als zurzeit unbegründet abgewiesen worden sei.
Der BGH BB 2000, 2490 führt aus:
Zitat
Gegenstand eines Rechtsstreits ist der als Rechtsschutzbegehren oder Rechtsfolgenbehauptung aufgefasste eigenständige prozessuale Anspruch. Dieser wird bestimmt durch den Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Der Klagegrund geht über die Tatsachen hinaus, welche die Tatbestandsmerkmale einer Rechtsgrundlage ausfüllen. Zu ihm sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens dem Gericht zu unterbreiten hat […]. Danach betreffen die beiden Honorarklagen denselben Streitgegenstand. Der Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger seinen Anspruch herleitet, ist der Architektenvertrag über die Errichtung eines Mehrfamilienhauses. Der Honoraranspruch ergibt sich gemäß § 631 Abs. 1 BGB aus der Vergütungsvereinbarung. Dadurch, dass die HOAI bei einer gemäß § 4 Abs. 4 unwirksamen Vergütungsvereinbarung dem Architekten einen Anspruch auf Honorar nach den Mindestsätzen einräumt, ändert sich der Lebenssachverhalt nicht.
(Dass die Klage des Vorprozesses entsprechend der Rspr. des BGH (BGHZ 127, 254) lediglich (aber entscheidend) als zurzeit unbegründet abgewiesen worden sei, sei zwar nicht im Tenor des ersten Urteils zum Ausdruck gebracht, ergebe sich aber aus den Entscheidungsgründen.)
In einem anderen Urteil schließt der BGH das Vorliegen neuer Tatsachen für den Fall aus, dass ein Kaufvertrag nach Abschluss des Vorprozesses aufgrund arglistiger Täuschung angefochten wurde, sofern der Anfechtungsgrund bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorlag. Insbesondere gehört zur Rechtskraftwirkung nicht nur die Präklusion der im ersten Prozess vorgetragenen Tatsachen, sondern auch die der nicht vorgetragenen Tatsachen, sofern diese nicht erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Prozess entstanden sind, sondern ...