Rz. 286
Rz. 287
OLG Bamberg
Der hinter einem Wartepflichtigen fahrende Kraftfahrer (2) muss damit rechnen, dass der Vorausfahrende (1) sich über möglichen vorfahrtberechtigten Verkehr vergewissert und anhält. Er darf nicht davon ausgehen, dass der Fahrer des vorausfahrenden Pkw (1) ohne Geschwindigkeitsminderung oder ohne anzuhalten in die Vorfahrtstraße einbiegt. Auch ohne vorfahrtsberechtigten Verkehr haftet bei dieser Konstellation der Hintermann (2) zu 80 %.
Rz. 288
OLG Hamburg
Ein Radfahrer, der nach einer Vollbremsung aufgrund eines vorausfahrenden abbremsenden Pkw ohne Kontakt mit dem Fahrzeug zu Fall gekommen ist, haftet zu 100 %. Auch Fahrradfahrer müssen ihr Fahrzeug sicher führen, ihre Fahrweise den Straßenverhältnissen anpassen und vor allem einen Sicherheitsabstand einhalten, der es ihnen erlaubt, auch ohne Sturz eine Bremsung vorzunehmen. Die Betriebsfgefahr des Kfz tritt vollständig zurück.
Rz. 289
OLG Hamm
Bei einem Auffahrunfall auf einer BAB kann ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden des Auffahrenden nur angenommen werden, wenn sich beide Unfallfahrzeuge längere Zeit hintereinander auf derselben Fahrspur befunden haben. Ist nicht aufklärbar, durch welche von mehreren möglichen Verhaltensweisen ein Unfall verursacht wurde, gibt es keinen Anscheinsbeweis, sondern es ist nach den Grundsätzen der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge zu urteilen. Dabei ist von einer Haftungsquote von 60:40 zulasten des auffahrenden Fahrzeugführers auszugehen, wenn dessen Geschwindigkeit im Unfallzeitpunkt die Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn um ca. 30 km/h überstiegen hat.
Rz. 290
OLG Koblenz
Der Fahrer des vorausfahrenden Kfz (1) haftet zu 100 %, wenn er nach dem Einfädeln in die Bundesstraße wegen eines vor ihm einfädelnden Pkw bis zum Stillstand abbremst und der vorfahrtberechtigte Nachfolgende (2) auffährt. Er darf nicht darauf vertrauen, dass vor ihm in der Einfädelspur wartende Fahrzeuge nicht ebenfalls die Spur wechseln.
Rz. 291
OLG München
Der Anscheinsbeweis spricht auch bei einem Unfallereignis, bei dem ein Fahrzeug auf ein am Berg anfahrendes Fahrzeug auffährt, für das Verschulden des Auffahrenden, wenn diesem eine Entkräftung nicht gelingt, weil das vordere Fahrzeug nicht mehr als einen halben Meter zurückgerollt ist. Der Senat ist nach Durchführung der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die klägerische Fahrzeuglenkerin, nachdem ihr an der Ausfahrt der Tiefgaragenrampe der Motor abgestorben ist, maximal einen halben Meter zurückrollte und die Beklagte, die damit nicht rechnete, auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren ist.
Rz. 292
OLG Karlsruhe
Fährt ein Fahrzeugführer auf ein plötzlich abbremsendes Fahrzeug auf, haftet er zu 50 %. Er hat gegen § 1 Abs. 2 StVO oder gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO verstoßen. Dies ergibt sich bereits aus den Regeln des Anscheinsbeweises. Die Pflicht, einen solchen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einzuhalten, so dass auch bei einer plötzlichen Bremsung rechtzeitig angehalten werden kann, besteht unabhängig davon, ob der Vordermann einen Anlass zur Bremsung hat oder nicht.
Rz. 293
OLG Karlsruhe
Fährt ein auf der Normalspur der Autobahn fahrender Lkw (2) auf einen anderen Lkw (1) auf, der von der Beschleunigungsspur auf die Autobahn eingefahren war, so kann der Auffahrende (2) den Schaden zu 100 % zu tragen haben, wenn er den Unfall zwar nicht durch bloßes Gaswegnehmen, wohl aber durch nur leichtes Abbremsen verhindern hätte können. Dies gilt trotz der Tatsache, dass das Vorfahrtsrecht des Verkehrs auf der durchgehenden Fahrbahn schon dadurch beeinträchtigt wird, dass der Verkehr dort zum Abbremsen gezwungen ist.
Rz. 294
LG Aachen
Ein durch ein Stoppschild Wartepflichtiger haftet zu 75 %, wenn er dort anfährt, nachdem er mehrere Kfz passieren ließ und hierdurch ein bevorrechtigter Motorradfahrer bei einem Ausweichmanöver zum Sturz kommt. Dabei spielt es keine Rolle, ob er an der Sichtlinie noch einmal anhalten wollte. Der Wartepflichtige verletzt durch sein Verhalten die Rücksichtnahmeverpflichtung. Durch sein Anfahren hat er bereits unmittelbaren Einfluss auf das Verhalten des Motorradfahrers genommen. Dieser musste allerdings mit einem weiteren Einfahren rechnen, so dass er zu ⅓ für den entstandenen Schaden haftet.
Rz. 295
LG Hagen
Kommt ein vorausfahrendes Kfz nach dem Anfahren wegen des abgewürgten Motors zum Stehen und fährt ein anderes Kfz auf, haftet der vorausfahrende Fahrzeugführer zu 25 %. Dies gilt auch dann, wenn sich dieses Fahrzeug ruckelnd bereits 3 m nach vorne bewegt hatte.
Rz. 296
LG Münster
Fahren zwei Motorradfahrer hintereinander und kommt es zu einem Unfall, weil der Vorausfahrende stark bremst und der Folgende daraufhin stürzt, haftet jeder zu 50 %. Der Verletzung der Sorgfaltspflicht, ausreichenden Sicherheitsabstand unter angepasster Geschwindigkeit zu wahren, ist das gleiche Verschulden zuzumessen wie dem überstarken Abbremsen. Die Abstandsverringerung ist auch ursächlich für den Unfall geworden, denn ...