Rz. 1002
Rz. 1003
BGH
Der Geschädigte, der sich darauf beruft, dass sich eine nach den Umständen des Falls typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs nicht verwirklicht hat, muss dies darlegen und erforderlichenfalls beweisen. Stößt ein achtjähriges Kind mit seinem Fahrrad gegen das Heck eines geparkten Wagens, weil dieses in den Gehweg ragt, spricht dies für die Verwirklichung dieser spezifischen Gefahr. Das Kind haftet nicht.
Rz. 1004
BGH
Ein Kraftfahrer (2) muss nicht von vornherein ein verkehrswidriges und unvorsichtiges Verhalten der Kinder in Rechnung stellen, wenn er eine sich auf dem Gehweg befindliche Gruppe von größeren Kindern sieht. Der Kraftfahrer (2) hat aber unstreitig die Kindergruppe bis zum eigentlichen Unfall überhaupt nicht wahrgenommen. Dass er sie in einem erheblich früheren Zeitpunkt hätte sehen können, ist nach den getroffenen Feststellungen kaum zweifelhaft und auf gar keinen Fall auszuschließen. Dann aber entspricht sein Verhalten nicht demjenigen eines besonders sorgfältigen Kraftfahrers, wie er bei Anwendung der Vorschrift des § 7 Abs. 2 StVG a.F. vorauszusetzen ist. Das Berufungsgericht stellt nicht fest, dass sich der Unfall in gleicher Weise und gleicher Schwere ereignet hätte, wenn das Kfz des Beklagten wenigstens teilweise abgebremst gewesen wäre. Die damit verbleibende Ungewissheit aber muss für die Haftung aus § 7 StVG genügen. Vgl. auch Rdn 987.
Rz. 1005
OLG Schleswig
Auch bei einer durch ein Wohngebiet führenden Straße, auf der eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 30 km/h vorgesehen ist, kommt eine Verschuldenshaftung des Kfz-Fahrers (2), dem seitwärts ein Kind (1) in das Fahrzeug läuft, nur dann in Betracht, wenn bewiesen wird, dass er bei Annäherung an die Unfallstelle die Anwesenheit von Kindern hätte wahrnehmen können. Der Senat hat durchgreifende Zweifel an der Wahrnehmbarkeit des Kindes für die Fahrerin, weil die zeitlichen und räumlichen Voraussetzungen für die Annahme einer kürzeren Laufstrecke des Kindes auf dem Gehweg und sein Überqueren der Fahrbahn zwischen dem im Unfallbereich geparkten Pkw hindurch nicht vorliegen und somit davon auszugehen ist, dass eine Einschränkung bzw. seitliche Verlagerung der Sichtmöglichkeiten der Fahrerin gegeben war.
Hinweis
Der BGH hat die Revision der Fahrerin durch Beschl. v. 30.3.1999 (Az. VI ZR 258/98) nicht angenommen. Vgl. auch vorangegangener Hinweis, Rdn 987.
Rz. 1006
OLG Oldenburg
Kollidiert ein Kfz-Fahrer mit einem das 10. Lebensjahr vor zwei Wochen erreichenden Kind, weil das Kind einem Spieltrieb folgend seinem Bruder auf die Straße hinterhergelaufen ist, haftet der Kfz-Fahrer zu ¾ und das Kind zu ¼. Zwar wird angesichts des Alters des Kindes die Einsichtsfähigkeit i.S.d. § 828 BGB widerlegbar vermutet. Das Kind hat jedoch unter Beweis gestellt, dass die Einsichtsfähigkeit bei ihm nicht vorgelegen hat. Die Situation stellte sich für den Kfz-Fahrer als Spielsituation dar. Dies gilt allerdings auch für das Kind, das grundsätzlich das Risiko, das mit einem unaufmerksamen Überqueren der Straße verbunden ist, bekannt gewesen sein mag. Hinzu kommt, dass der Kfz-Fahrer zumindest damit hätte rechnen müssen, dass sich, neben dem von ihm bemerkten spielenden Bruder des Kindes und dem von ihm ebenfalls bemerkten weiteren Jungen mit einem roten Pullover, weitere Kinder im Gefahrenbereich befinden.
Rz. 1007
OLG Hamm
Der Vertrauensgrundsatz gilt auch gegenüber Kindern. Daher muss ein Pkw-Führer (2), der die 5,5 m breite Fahrbahn einer Wohnstraße ohne Bürgersteige in einer 30 km/h-Zone befährt, ohne konkreten Anlass sein Tempo nicht von vornherein auf Schrittgeschwindigkeit reduzieren. Sofern bei Schrittgeschwindigkeit der Unfall vermieden worden wäre, kann aber Unabwendbarkeit i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG a.F. schon dann ausscheiden, wenn aus einer verdeckten Garageneinfahrt ein Kind (1) gelaufen kommt, seitlich gegen das Fahrzeug stößt und vom Hinterrad überrollt wird. Zwar müssen sich Pkw-Führer gegenüber Kindern so verhalten, dass deren Gefährdung ausgeschlossen ist. Dazu muss ggf. die Fahrgeschwindigkeit vermindert und Bremsbereitschaft eingehalten werden. Der BGH hat wiederholt darauf hingewiesen, dass auch gegenüber Kindern die an die Sorgfaltspflicht zu stellenden Anforderungen nicht überspannt werden dürfen, wenn nach gewöhnlicher Lebenserfahrung keine Gefährdung zu erwarten ist.
Rz. 1008
OLG Hamm
§ 3 Abs. 2a StVO verpflichtet einen Kraftfahrer (2) nicht dazu die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h herabzusetzen, weil ein 1,66 m großer 13-jähriger Schüler mit normaler Geschwindigkeit zum Rand des Bürgersteigs geht und auf den Mehrzweckstreifen tritt. Der Kraftfahrer muss nicht damit rechnen, dass dieser Schüler sodann unvermittelt ohne Rücksicht auf den Verkehr auf die Fahrbahn rennt. Das Gefahrenzeichen 136 (Kinder) gebietet dem Kraftfahrer keine Herabsetzung der Geschwindigkeit wegen eines für ihn sichtbaren Kindes. Vielmehr soll es den...