Rz. 1014
Rz. 1015
OLG Celle
Ein achtjähriger Schüler (1) quert von rechts nach links zwischen parkenden Fahrzeugen hindurch die Fahrbahn, um zu einem auf der gegenüberliegenden Seite haltenden Bus zu eilen. Das Verschulden des Kindes (1) bei der Fahrbahnüberquerung kurz vor einem herannahenden Kfz (2) ist nicht mit dem eines Erwachsenen auf dieselbe Stufe zu stellen. Die Betriebsgefahr hat ein nicht unerhebliches Gewicht, so dass der Halter des Kfz (2) zu 30 % mithaftet.
Hinweis
Der entschiedene Fall stammt noch aus der Zeit vor der Einfügung von § 828 Abs. 2 BGB (gültig für Ereignisse ab dem 1.8.2002). Nach neuem Recht käme ein Mitverschulden des Kindes allenfalls in Betracht, wenn das Kind das zehnte Lebensjahr schon vollendet hätte.
Rz. 1016
OLG Hamburg
Kommt es zur Kollision zwischen einer elfjährigen Fußgängerin und einem die Fahrbahn befahrenden Pkw und lässt sich nicht feststellen, dass der Pkw-Fahrer im Zeitpunkt der Kollision die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten hat, tritt die Betriebsgefahr des Fahrzeugs (30 %) bei der Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge selbst dann nicht zurück, wenn ein Unfallanalytiker feststellt, dass beim niedrigsten Wert der ermittelten Geschwindigkeit (44–76 km/h) der Unfall nicht zu vermeiden war. Für das (Mit-)Verschulden des Fußgängers und dessen Ausmaß muss der motorisierte Verkehrsteilnehmer den Beweis antreten. Aus diesem Grund ist zugunsten des Fußgängers zugrunde zu legen, dass sich der Pkw der Unfallstelle mit einer Ausgangsgeschwindigkeit von 76 km/h genähert haben kann. Dem Kind ist ein Verstoß gegen § 25 Abs. 3 STVO vorzuwerfen. Zur Sorgfalt eines Fußgängers beim Überqueren der Straße gehört insbesondere, sich umzusehen und sich zu vergewissern, dass sich kein Fahrzeug nähert. Der Vorrang des Straßenverkehrs gegenüber dem die Straße querenden Fußgänger gehört zu den elementaren Verkehrsvorschriften, die ein elfjähriges Kind, welches am öffentlichen Straßenverkehr teilnimmt, beherrschen muss. Aus diesem Grund haftet das Kind zu 70 %.
Rz. 1017
OLG Celle
Ein Pkw-Fahrer (2) haftet zu ⅔ bei einer Kollision mit einem geistig behinderten 16-jährigen Kind, das beim Einfahren eines Busses zur gegenüberliegenden Haltestelle läuft. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Pkw-Fahrer (2) nur mit ca. 30 km/h gefahren war.
Rz. 1018
OLG Hamm
Ist für den Fahrzeugführer erkennbar, dass sich ein ca. 11 Jahre altes Kind mit seinem Roller auf einer Querungshilfe hingekniet hat, um seine Schnürsenkel zu binden, muss er daraus den Schluss ziehen, dass das Kind seine Aufmerksamkeit nicht dem Verkehr widmet und deshalb plötzlich auf die Fahrbahn treten kann. Kommt es zu einer Kollision, haftet der Autofahrer zu ⅔. Die Beklagte hätte nicht erst auf das Loslaufen ca. 1,5 Sekunden vor der Kollision reagieren müssen. Vielmehr hätte sie, schon als das Kind in der von dem Sachverständigen für eine Unfallvermeidung als ausreichend erachteten Entfernung von 25 m sichtbar war, durch eine Ausgleichsbremsung reagieren und sich mit einer weiteren Beobachtung für eine Vollbremsung bereithalten müssen. Unfallursächlich ist aber auch ein mitwirkendes Verschulden des Klägers.
Rz. 1019
OLG Hamm
Die erhöhten Anforderungen von § 3 Abs. 2a StVO setzen voraus, dass der Kraftfahrer den schutzbedürftigen Verkehrsteilnehmer sieht oder nach den Umständen, insbesondere nach der örtlichen Verkehrslage, mit der Anwesenheit besonders schutzbedürftiger Personen und ihrer Gefährdung rechnen konnte. Es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass schutzbedürftige Personen in der Nähe sind und in die Fahrbahn gelangen können. Bei elfjährigen Kindern muss nur bei konkret darauf deutenden Umständen mit nicht verkehrsgerechtem Verhalten gerechnet werden. Von einem elf Jahre alten Kind kann erwartet werden, dass es die elementaren Verhaltensregeln im Straßenverkehr beachtet und sich durch Blicke nach links und rechts vor dem Betreten der Fahrbahn vergewissert, dass kein Fahrzeug naht. Die Nichtbeachtung einer Grundregel des Straßenverkehrs führt zu Lasten des Kindes zu einer Mithaftung von 60 %.
Rz. 1020
OLG Hamm
Ein Kraftfahrer (2), der eine Bundesstraße befährt, ist verpflichtet, vorsorglich auf Schrittgeschwindigkeit abzubremsen, wenn er in etwa 30 bis 50 m Entfernung eine Gruppe junger Mädchen bemerkt, die ca. 1 m vom Fahrbahnrand entfernt steht. Das 13 Jahre und neun Monate alte Mädchen gehörte noch zu dem durch § 3 Abs. 2a StVO geschützten Personenkreis. Anhaltspunkte, dass die Klägerin nach ihrem äußeren Erscheinungsbild auf die Pkw-Führerin (2) wie eine Erwachsene hätte wirken müssen, sind nicht dargelegt. Die Pkw-Führerin (2) hat sich entgegen der ihr dem Mädchen gegenüber obliegenden besonderen Sorgfaltspflicht nicht so verhalten, dass deren Gefährdung ausgeschlossen war. Dem Mädchen (1) ist nach § 9 StVG i.V.m. §§ 254, 828 Abs. 2 BGB a.F. ein erhebliches Eigenverschulden am Zustandekommen des Unfalls zuzurechnen. Sie ist unter Verstoß gegen § 25 Abs. 3 StV...