Rz. 1045
Rz. 1046
LG Duisburg
§ 828 Abs. 2 BGB umfasst grundsätzlich auch Fahrzeuge, die nicht am fließenden Verkehr beteiligt sind. Dies gilt jedoch nicht für den Fall, dass ein neunjähriges Kind ein vorschriftsmäßig geparktes Kfz mit dem Fahrrad streift. Unter diesen Umständen ist das Kind nicht den typischen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs ausgesetzt, so dass es voll deliktsfähig ist. Die Heraufsetzung des Haftungsalters soll auf im motorisierten Straßen- oder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzt werden, bei denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie zum Beispiel Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einschätzen zu können, regelmäßig zum Tragen kommen. Außerhalb dieses Bereichs, zum Beispiel auch im nicht motorisierten Verkehr sind die Anforderungen, denen das Kind ausgesetzt ist, im Allgemeinen geringer. Beschädigt deshalb ein neunjähriges Kind (1) einen ordnungsgemäß geparkten Pkw (2), so haftet das Kind zu 100 %.
Rz. 1047
BGH
Stößt ein achtjähriges Kind, das auf dem Gehweg mit dem Fahrrad unterwegs ist, gegen einen in einer Parktasche stehenden Pkw, der mit dem Heck in den Gehweg ragt, muss dessen Halter beweisen, dass sich hierdurch die typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des Straßenverkehrs in dieser Situation nicht realisiert hat. Kann er diesen Nachweis nicht führen, haftet das Kind nicht für den entstandenen Schaden. § 828 Abs. 2 BGB findet Anwendung. Die typische Gefahrensituation lässt sich nicht zuletzt daraus herleiten, dass das Kind an anderen geparkten Fahrzeugen ohne Probleme vorbeifahren konnte.
Rz. 1048
BGH
Fährt ein Kind mit einem Fahrrad gegen ein mit geöffneten hinteren Türen am Fahrbahnrand stehendes Fahrzeug, haftet es nach § 828 Abs. 2 BGB nicht für den entstandenen Schaden. Die Instanzgerichte haben zu Recht schon aufgrund des Klägervortrags eine typische Überforderungssituation für das Kind bejaht. Im Unterschied zu den Fallgestaltungen, bei denen der erkennende Senat das Eingreifen des Haftungsprivilegs verneint hat, kann man unter den hier gegebenen Umständen schon nicht davon ausgehen, dass der Kl. sein Fahrzeug zum Unfallzeitpunkt ordnungsgemäß geparkt hatte. Dem steht entgegen, dass die hinteren Türen auf der Fahrer- und der Beifahrerseite zum Zeitpunkt der Kollision offenstanden und sich unstreitig sowohl der Kl. als auch der Zeuge an den geöffneten Türen befunden und sich bewegt haben.
Rz. 1049
BGH
Stößt ein achtjähriges Kind mit seinem Fahrrad aufgrund überhöhter, nicht angepasster Geschwindigkeit und Unaufmerksamkeit im fließenden Verkehr gegen ein verkehrsbedingt haltendes Kraftfahrzeug, das es nicht herankommen sehen konnte und mit dem es deshalb möglicherweise nicht rechnete, handelt es sich um eine typische Fallkonstellation der Überforderung des Kindes durch die Schnelligkeit, die Komplexität und die Unübersichtlichkeit der Abläufe im motorisierten Straßenverkehr. Darauf, ob sich diese Überforderungssituation konkret ausgewirkt hat oder ob das Kind aus anderen Gründen nicht in der Lage war, sich verkehrsgerecht zu verhalten, kommt es im Hinblick auf die generelle Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit von Kindern durch § 828 Abs. 2 S. 1 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 nicht an.
Rz. 1050
BGH
Schwierigkeiten für ein Kind, sich im ruhenden Straßenverkehr verkehrsgerecht zu verhalten, sollten das Haftungsprivileg gem. § 828 Abs. 2 BGB nicht rechtfertigen. Insoweit ging der Gesetzgeber davon aus, dass Kinder in dem hier maßgeblichen Alter mit solchen Situationen nicht generell überfordert sind und die Deliktsfähigkeit daher grundsätzlich anzunehmen ist. Dies ist allenfalls im fließenden Verkehr gegeben, bei dem Kinder Schwierigkeiten haben, Geschwindigkeiten und Entfernungen richtig einzuschätzen. Allerdings kam es dem Gesetzgeber darauf an, die Rechtsstellung von Kindern im Straßenverkehr umfassend zu verbessern. Die Haftungsprivilegierung Minderjähriger erfasst deshalb nicht nur die Schäden, die Kinder einem Anderen zufügen, sondern auch eigene Schäden, die sie auch bei verkehrswidrigem Verhalten im fließenden Verkehr erleiden.
Rz. 1051
BGH
Das Haftungsprivileg des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19.7.2002 greift nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift nur ein, wenn sich bei der gegebenen Fallkonstellation eine typische Überforderungssituation des Kindes durch die spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs realisiert hat. Mit der Einführung der Ausnahmevorschrift in § 828 Abs. 2 BGB wollte der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen, dass Kinder regelmäßig frühestens ab Vollendung des zehnten Lebensjahres imstande sind, die besonderen Gefahren des motorisierten Straßenverkehrs zu erkennen, insbesondere Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig einzuschätzen. Allerdings wollte er die Deliktsfähigkeit nicht generell erst ...