Rz. 1582
Rz. 1583
OLG Karlsruhe
Die Radfahrerin (1) haftet zu ⅓ mit, wenn sie an einem auf die Fahrbahn 50 cm hineinragenden geparkten Pkw mit einem vierjährigen Kind auf dem Gepäckträger unsicher vorbeifährt und wenn sie dann mit dem Fuß unter einen Lkw (2) gerät, dabei stürzt und sich verletzt. Der Lkw-Fahrer (2) haftet zu ⅔, weil er einen Abstand von 2 m zur Radfahrerin hätte einhalten müssen. Sein Abstand hatte unter 1 m gelegen.
Rz. 1584
OLG Brandenburg
Kommt es zu einer Kollision zwischen einem den Sicherheitsabstand zum Fahrbahnrand unerheblich unterschreitendem Lkw-Fahrer und einem entgegen der Fahrtrichtung fahrenden und plötzlich vom Radweg auf die Fahrbahn wechselnden Radfahrer, wiegt das Verschulden des Fahrradfahrers so schwer, dass er alleine haftet. Das Mitverschulden verdrängt dabei auch die verhältnismäßig geringfügige Unterschreitung des Mindestabstandes des Beklagten vom Fahrbahnrand (25 cm). Zulasten der Kl. ist darüber hinaus ein Verstoß gegen § 2 Abs. 4 StVO zu berücksichtigen, da sie einen nicht für ihre Richtung freigegebenen Fahrradweg benutzt hat.
Rz. 1585
KG
Rutscht ein (jugendlicher) Fahrradfahrer (1) bei reifglatter Fahrbahn weg und gerät er in die Fahrspur eines mit zu geringem Seitenabstand überholenden Pkw (2), so ist dies kein Beweis des ersten Anscheins für einen vermeidbaren Fahrfehler des Radfahrers. Die eigentliche Ursache für das Wegrutschen des Fahrrades des Jugendlichen ist ungeklärt geblieben. Die dem Pkw-Fahrer obliegende Darlegungs- und Beweislast für die objektiven und subjektiven Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs kann bei einem solchen Geschehensablauf nicht durch die von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsätze des Anscheinsbeweises erleichtert werden. Die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises setzt eine typische Situation voraus, in der aus Lebenserfahrung oder vergleichbar entschiedenen Fällen bei Würdigung aller bekannten Umstände des Einzelfalles alles dafür spricht, dass eine bestimmte Kausalkette abgelaufen ist und/oder ein bestimmtes schuldhaftes Fehlverhalten ursächlich war.
Rz. 1586
OLG Hamm
Pedelecs, bei denen der Motor ausschließlich unterstützend wirkt und die maximal eine Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h haben, sind verkehrsrechtlich wie Fahrräder einzuordnen. Wer an einem auf dem Seitenstreifen fahrenden Verkehrsteilnehmer vorbeifährt, überholt nicht i.S.d. § 5 StVO. Ein außerhalb des Anwendungsbereichs des § 5 StVO begonnener Überholvorgang wird nicht zum Überholen, wenn der langsamere Verkehrsteilnehmer seine Fahrspur wechselt. Ein Pkw-Fahrer verstößt nicht gegen § 3 Abs. 2a StVO, wenn er mit einem älteren Pedelec-Fahrer kollidiert, der aus plötzlicher Sorglosigkeit ohne Beachtung des nachfolgenden Verkehrs vom Radweg auf die Fahrspur wechselt, ohne dass die Sorglosigkeit etwas mit seinem Alter und einer hierdurch bedingten Unfähigkeit, auf Verkehrssituationen zu achten. Der Pkw-Fahrer haftet nicht.
Rz. 1587
OLG Koblenz
Ein Radfahrer befuhr im Februar 2019 gegen 7.10 Uhr mit einem unbeleuchteten Fahrrad und in dunkler Kleidung die Landstraße. Es herrschte Berufsverkehr. Das Fahrrad wurde mit einer Entfernung von etwa 1,40 m vom rechten Fahrbahnrand mit einer Geschwindigkeit von etwa 20 km/h gefahren. Auf der Landstraße ist eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h erlaubt. Ein Autofahrer, der in derselben Fahrtrichtung unterwegs war, wurde durch Scheinwerfer des auf der Gegenfahrbahn entgegenkommenden Fahrzeugs geblendet. Er bemerkte den Sohn des Kl. in der Dunkelheit zu spät und fuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 60–70 km/h auf das Fahrrad auf. Der Sohn des Kl. verstarb aufgrund seiner schweren Verletzungen noch am Unfallort etwa eine knappe Stunde nach dem Unfall. Der Senat hält im hier vorliegenden Fall (Verlust des 20-jährigen, bei der geschiedenen Ehefrau lebenden Sohnes durch fahrlässig verursachten Verkehrsunfall) – noch ohne Berücksichtigung des erheblichen Mitverschuldens des verstorbenen Sohnes – ein über 10.000 EUR hinausgehendes Hinterbliebenengeld gem. § 844 Abs. 3 BGB nicht für gerechtfertigt. Es findet sich die Erwähnung des Betrags von 10.000 EUR lediglich in der Kostenschätzung des Regierungsentwurfs zum Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld (BT-Drucks 18/11397), der von 24.000 Haftungsfällen jährlich ausgeht und "angesichts der durchschnittlichen Beträge von etwa 10.000 EUR, die derzeit von den Gerichten bei der Tötung eines Angehörigen als Entschädigung für so genannte Schockschäden, die über das gewöhnliche Maß an Trauer und seelischem Leid hinausgehen, zugesprochen werden" annimmt, dass mit jährlichen Gesamtkosten durch Zahlung von Hinterbliebenengeld von rund 240 Mio. EUR zu rechnen sei (vgl. BT-Drucks 18/11397, 11). Gleichwohl ist auch nach Auffassung des Senats hier ein gewisser Anhaltspunkt für die Vorstellungen des Gesetzgebers über die Höhe des Hinterbliebenengelds zu sehen. Unter Berücksichtigung der Umstände und des Ablaufs des Verkehrsunfalls sowie insbeso...