1. Gegenfahrbahn/Rechtsfahrgebot/Motorradfahrer
Rz. 885
Rz. 886
BGH
Ein Pkw-Fahrer (1), der in einer lang gezogenen Rechtskurve einer Landstraße die Mittellinie um 65 cm überfährt und mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer (2), der leicht versetzt von der Mitte seines Fahrstreifens fährt, kollidiert, haftet zu 100 %. Den Motorradfahrer trifft keine Mithaftung, da das Rechtsfahrgebot nicht starr ist, sondern von Örtlichkeit, Fahrbahnbeschaffenheit, Geschwindigkeit und anderen Umständen abhängt. Im Einzelfall bleibt demnach "vernünftiges" Rechtsfahren gegenüber einem groben Pflichtverstoß bei der Abwägung der Betriebsgefahr außer Betracht.
Rz. 887
BGH
Ein Pkw-Fahrer (1) haftet zu 60 % für den Unfallschaden eines anderen Kfz-Führers (2), wenn er auf einer 4,5 m breiten Straße in einer Rechtskurve zum rechten Fahrbahnrand einen Abstand von 1,18 m einhält und die gedachte Mittellinie um ca. 75 cm überfährt. Dies gilt insbesondere dann, wenn beiden Kfz-Führern die Sicht durch ein Maisfeld beschränkt ist und auch der Fahrer (2) nicht auf halbe Sicht fährt.
Rz. 888
OLG Schleswig
Können an einer Engstelle zwei jeweils aus der Gegenrichtung kommende Fahrzeuge durchfahren, müssen sich die Fahrzeugführer verständigen, wer durchfahren darf. Der Regelungsgehalt des durch das Zeichen 208 angeordneten Vorrangs des gegnerischen Verkehrs erschöpft sich nicht nur auf den Zeitpunkt des Passierens des Schildes, sondern gilt auch für den weiteren (noch nicht übersehbaren) Streckenverlauf der Engstelle. Der Wartepflichtige muss gegebenenfalls auch durch Anpassung seiner Geschwindigkeit dem vorrangigen Gegenverkehr Rechnung tragen (amtl. LS.). Beachtet der Wartepflichtige die Vorfahrt des anderen Verkehrsteilnehmers nicht, haftet er bei einer Kollision zu 70 %.
Rz. 889
OLG Celle
Bei Dunkelheit muss auf einer nur 4,95 m breiten Straße ohne Fahrbahnmarkierungen und nicht befestigtem Seitenstreifen sowie erkennbaren Gegenverkehr (landwirtschaftliches Gespann mit Überbreite) in einer leichten Rechtskurve gemäß § 3 Abs. 1 S. 5 StVO auf halbe Sicht gefahren werden. Der Führer eines landwirtschaftlichen Gespannes mit Überbreite darf auf einer schmalen Straße, die von solchen Fahrzeugen befahren werden darf, so weit nach rechts steuern, wie es tatsächlich möglich ist. Er verstößt nicht gegen § 1 Abs. 1, Abs. 2 StVO. Kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem Pkw, der die Fahrbahnmitte grundlos leicht überschreitet, tritt die Haftung aus Betriebsgefahr für das landwirtschaftliche Gespann nicht zurück. Sie fließt mit 30 % in die Haftungsquote gemäß § 17 Abs. 1 StVG ein.
Rz. 890
OLG Celle
Wird ein Unfall dadurch verursacht, dass ein Pkw-Fahrer verkehrswidrig auf die von einem Motorradfahrer benutzte vorfahrtsberechtigte Straße abbiegt, so hat auch der Motorradfahrer einen Verschuldens- und Verursachungsanteil von 50 % zu tragen, soweit dieser seinerseits beim Zusammentreffen mit dem Pkw gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn hinzukommt, dass der Motorradfahrer mit überhöhter Geschwindigkeit die linke von zwei Fahrspuren benutzt hat und nicht den Sichtverhältnissen entsprechend gefahren ist.
Rz. 891
OLG Hamm
Das Rechtsfahrgebot dient grundsätzlich nur dem Schutz des gleichgerichteten Verkehrs, Dies schließt aber nicht aus, dass sich durch die Benutzung der linken Fahrbahnseite die Betriebsgefahr eines unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges erhöht und allein dadurch zur Mithaftung führt. Kommt es zu einem Unfall im Begegnungsverkehrt, bei dem ein Fahrzeugführer mit einem überbreiten Fahrzeug unterwegs ist und die Gegenfahrbahn teilweise mit beansprucht, haftet aus der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs heraus zu 25 %, wenn es zur Kollision mit einem nach rechts in die Straße des überbreiten Fahrzeugs einbiegenden Mofafahrers kommt. Dieser hätte die Vorfahrt beachten und die schlechten Sichtverhältnisse berücksichtigen müssen.
Rz. 892
OLG Hamm
Wird ein Motorradfahrer in einer Rechtskurve zu weit nach links getragen und vollzieht er deutlich jenseits der gedachten Fahrbahnmitte eine Vollbremsung, liegt typischerweise ein Fahrfehler des Führers des Motorrades vor. Kommt es zu einem Zusammenstoß mit einem seinerseits in der Mitte der Fahrbahn fahrenden Motorradfahrer aus der Gegenrichtung, haftet der auf die Gegenfahrbahn gekommene Motorradfahrer zu 75 %. Dem entgegenkommenden Motorradfahrer ist eine Mithaftung aus der Betriebsgefahr seines Motorrads und ein leichtes Verschulden wegen des Verstoßes gegen das Rechtsfahrgebot anzulasten.
Rz. 893
OLG Hamm
Zwei Kfz dürfen nur dann in zügiger Fahrt aneinander vorbeifahren, wenn zwischen den begegnenden Fahrzeugen unter Berücksichtigung des nötigen Abstands zum rechten Fahrbahnrand ein Seitenabstand von mindestens einem Meter eingehalten wird. Steht dieser Seitenabstand nicht zur Verfügung, muss nach § 1 Abs. 2 StVO sein Fehlen durch eine besonders vorsichtige Durchführung der Begegnung und Herabsetzung der beidseitigen Fahrgeschwindigkeiten ausgeglichen werden. Reicht auch das...