1. Straßenbahn/Andreaskreuz/Kind/Vorfahrt/Vertrauensgrundsatz/besonderer Gleiskörper
Rz. 1699
Rz. 1700
KG
Der Straßenbahnführer hat die Straßenverkehrsordnung zu beachten, wenn zwar ein besonderer Gleiskörper vorhanden ist, aber die Gleisübergänge nicht durch Andreaskreuze gekennzeichnet sind. Er haftet im Falle ihm nachgewiesenen Verschuldens für gegenwärtige und künftige immaterielle Schäden, §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, § 256 ZPO. § 18 Abs. 1 S. 1 StVG findet keine Anwendung. Bei einem Verschulden des Straßenbahnführers haftet das Betriebsunternehmen für gegenwärtige und künftige immaterielle Schäden gem. §§ 823 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, § 256 ZPO. Die Haftung aus § 1 HaftPflG betrifft nur materielle Schadensersatzansprüche. Das Straßenbahnbetriebsunternehmen genügt nicht dem Entlastungsbeweis gem. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB, weil es an verdeckten Kontrollfahrten vor dem Unfallereignis fehlt.
Hinweis
Anders als bei Kindern ab dem 10. Lebensjahr und bei Erwachsenen entfällt die Haftung eines jüngeren Kindes bei Unfällen mit motorisierten Verkehrsteilnehmern gem. § 828 Abs. 2 BGB seit dem 1.8.2002. Etwas anderes gilt nur bei Vorsatz. Dieses Haftungsprivileg gilt ebenfalls bei Fällen der StVG-Haftung und nach dem HaftPflG sowie dem LufVG. Auch bei Unfällen mit Straßenbahnen haften Kinder bis zum vollendeten Lebensjahr also nicht. Sie haben auch bei eigenem Verschulden einen vollen Anspruch auf Schadenersatz gegen den Halter dieses Verkehrsmittels.
Rz. 1701
BGH
Im Rahmen der Betriebsgefahr, die sich der Halter eines Kraftfahrzeugs entgegenhalten lassen muss, wenn er Ersatz seines Unfallschadens nach § 823 Abs. 1 BGB verlangt, ist als ein die allgemeine Betriebsgefahr erhöhender Umstand auch das für den Unfall mitursächliche haftungsrelevante Verhalten des Fahrers zu berücksichtigen. Bei Ansprüchen aus § 831 Abs. 1 BGB ist § 4 Hs. 2 HaftPflG nicht entsprechend anwendbar.
Rz. 1702
BGH
Bei dem Betrieb einer Straßenbahn liegt höhere Gewalt als Haftungsausschluss des Unternehmers nicht schon deshalb vor, weil dessen Fahrer sich verkehrsgerecht verhalten hat und einen Unfall nicht hat vermeiden können. Vielmehr hat der Unternehmer der Straßenbahn nach dem gesetzgeberischen Willen seine Haftung bei Zwischenfällen bis zu dieser Grenze der höheren Gewalt hinzunehmen. Aus dem Umstand durch Dunkelheit und Regen beeinträchtigter Sicht lässt sich keine Erhöhung der Bahnbetriebsgefahr herleiten, jedenfalls dann nicht, wenn deren Strecke und sie selbst hell erleuchtet und leicht erkennbar sind. Eine Verkehrsregelung mit Kreisverkehr und Verteilerkreis ist jedenfalls dann hinsichtlich einer Abwägung nicht stark Gefahr erhöhend zu berücksichtigen, wenn der Unfallgegner die Unfallstelle sehr gut kennt. Unter Berücksichtigung des groben eigenen Verschuldens und der konkreten Betriebsgefahr haftet der Straßenbahnbetreiber zu 1/5.
Rz. 1703
OLG Brandenburg
Muss ein Wendender mit seinem Fahrzeug auf einer Straßenbahntrasse warten, um den Gegenverkehr passieren zu lassen, und kommt es dabei zu einer Kollision mit einer herannahenden Straßenbahn, so haftet der Fahrer des wendenden Fahrzeugs mit 70 %. Die allgemeine Betriebsgefahr des Pkw des Klägers ist bereits durch das Versperren des Schienenraumes gesteigert. Andererseits ist zu Lasten der Bekl. eine erhebliche allgemeine Betriebsgefahr der Straßenbahn wegen deren Schienengebundenheit, dem längeren Bremsweg und der größeren Aufprallwucht zu berücksichtigen.
Rz. 1704
KG
Eröffnet ein verkehrssicherungspflichtiger Verkehr für eine begrenze Personengruppe (hier: Fluchtweg für Passagiere einer havarierten Straßenbahn), muss er durch geeignete Maßnahmen sicherstellen, dass andere Verkehrsteilnehmer von der (umgekehrt gerichteten und zu einer Gefahrstelle führenden) Nutzung dieses Weges abgehalten werden. In einer unübersichtlichen Situation obliegt es auch dem zu Fuß am Verkehr Teilnehmenden, sich an die örtlichen Gegebenheiten "heranzutasten" und auf die Unübersichtlichkeit mit erhöhter Aufmerksamkeit zu reagieren. Unterlässt er dies, haftet der Fußgänger bei einer Kollision mit einem Lkw zu 75 %.
Rz. 1705
KG
Die Betriebsgefahr einer Straßenbahn ist höher als die eines Pkw, weil es ihr wegen der besonderen Antriebsart auf Schienen und der großen Masse nicht möglich ist, schnell anzuhalten, Diese Betriebsgefahr wiegt jedoch bei einem Unfall mit einem Pkw nicht schwerer als 50 %, wenn der Führer des Pkw sich nach links auf die Schienen einordnet und hierbei die herannahende Straßenbahn behindert. Die Beachtung der Sorgfaltspflicht aus § 9 Abs. 1 S. 3 StVO beinhaltet auch die Beachtung der Möglichkeit, dass eine Straßenbahn in Kürze herannaht.
Rz. 1706
KG
Auch ohne Nachweis eines Verschuldens des Straßenbahnführers durch den Verletzten besteht eine Haftung des Betriebsunternehmers aus § 1 HaftpflG und außerdem aus §§ 831 Abs. 1, 847 Abs. 1 BGB, also für materielle und immaterielle Schäden. § 18 Abs. 1 S. 1 StVG findet auf einen Straßenbahnführer keine Anwendung. Da sich der Unfall innerhalb des Verkehrsraumes einer öffentlichen Straße ereignet hat, ...