Rz. 36
Der Erblasser und sein evtl. vorverstorbener Ehegatte können sowohl Abkömmlingen als auch dem Ehegatten oder fremden Dritten Vermögenswerte lebzeitig zugewendet haben. Vorempfänge, die dann möglicherweise nach den §§ 2050 ff. BGB ausgleichungspflichtig sind, können nur Abkömmlinge erhalten, wohingegen es bei ergänzungspflichtigen Schenkungen (§§ 2325 ff. BGB) zunächst keine Rolle spielt, wer Zuwendungsadressat ist.
Der Anwalt ist auf umfassende Informationen über die lebzeitigen Zuwendungen angewiesen, um in seine erbrechtliche Analyse des Falls auch Überlegungen zu evtl. Pflichtteilsergänzungsansprüchen bzw. zur Ausgleichung unter Abkömmlingen mit einbeziehen zu können.
Hat der Erblasser nämlich zu seinen Lebzeiten Teile seines Vermögens verschenkt und wird hierdurch das dem Mandanten zufallende Vermögen erheblich geschmälert, kommen insoweit Pflichtteilsergänzungsansprüche in Betracht. Hat ein Pflichtteilsberechtigter selbst lebzeitige Zuwendungen vom Erblasser erhalten, sind diese bei der Berechnung des ordentlichen Pflichtteils gemäß §§ 2315, 2316 BGB bzw. bei der Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs nach §§ 2315, 2327 BGB zu berücksichtigen.
Rz. 37
Soweit Abkömmlinge des Erblassers Vorempfänge erhalten haben, ist unbedingt die Art des Vorempfangs festzustellen, da hiervon die Frage abhängt, ob bzw. inwieweit eine Ausgleichung unter den Abkömmlingen durchzuführen ist. Maßgeblich für die Beurteilung dieser Frage sind, wie bereits angesprochen, die Vorschriften der §§ 2050 ff. BGB, denen zufolge bei sogenannten Ausstattungen die Ausgleichung grundsätzlich obligatorisch ist, wenn der Zuwendende selbst nichts anderes bestimmt hat.
Rz. 38
Im Übrigen ist auch stets zu klären, ob eine Zuwendung tatsächlich unentgeltlich getätigt wurde, oder ob es sich um eine teilentgeltliche Zuwendung (gemischte Schenkung) oder sogar um eine vollentgeltliche Vermögensübertragung handelte.
Rz. 39
Grundsätzlich sind nur die unmittelbar vom Erblasser stammenden Zuwendungen im Rahmen der Ausgleichung bzw. bei Pflichtteilsansprüchen zu berücksichtigen. Einen Sonderfall stellt jedoch die Situation des Berliner Testaments dar, wonach sich die Ehegatten für den ersten Erbfall zu Alleinerben einsetzen und für den zweiten Erbfall die gemeinsamen Abkömmlinge zu Schlusserben berufen. In diesem Fall gilt für die Durchführung der Ausgleichung nach §§ 2050 ff. BGB der sogenannte erweiterte Erblasserbegriff. Demzufolge sind nach dem Tod des längstlebenden Elternteils auch diejenigen Vorempfänge zur Ausgleichung zu bringen, die der jeweilige Abkömmling vom erstverstorbenen Elternteil erhalten hat. An dieser Stelle sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der erweiterte Erblasserbegriff im Rahmen der Berechnung des Pflichtteils nach §§ 2315, 2316 BGB nicht zur Anwendung kommt, hier ist ausschließlich auf den jeweiligen Erblasser selbst abzustellen.
Rz. 40
Für die Ermittlung der ausgleichspflichtigen Vorempfänge bietet es sich an, nach folgendem Schema vorzugehen:
Schema der Vorempfänge:
Art des Vorempfangs
Vorliegen einer Ausgleichsanordnung
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schriftlich |
▪ |
mündlich |
▪ |
Zeitpunkt |
Vorliegen einer Anordnung zur Anrechnung auf den Pflichtteil
▪ |
schriftlich |
▪ |
mündlich |
▪ |
Zeitpunkt |
Ist der Vorempfang auch oder nur ergänzungspflichtig im Sinne des § 2325 BGB?
▪ |
objektive und subjektive Bewertung |
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vorbehaltene Rechte |
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Zeitpunkt der Schenkung |
Rz. 41
Damit die Abkömmlinge des Erblassers die Möglichkeit haben, das ihnen zustehende Recht der Ausgleichung auch geltend zu machen, steht ihnen ein besonderer Auskunftsanspruch nach § 2057 BGB zu.
Rz. 42
Gemäß § 2057 BGB ist jeder der Beteiligten verpflichtet, Auskunft über Zuwendungen zu geben, die nach den §§ 2050 ff. BGB ausgleichspflichtig sein könnten. Auskunftsberechtigt sind nur Abkömmlinge, die gesetzliche Erben sind oder die im Sinne von § 2052 BGB testamentarisch auf ihre gesetzliche Erbquote oder im Verhältnis ihrer gesetzlichen Erbteile eingesetzt wurden. Setzt der Erblasser beispielsweise die Söhne A zu 40 %, B und C zu je 20 % und D und E zu je 10 % zu Miterben ein, so stellen B und C eine Ausgleichsgruppe mit 40 % des realen Nachlasses zuzüglich ihrer Vorempfänge sowie D und E mit 20 % des realen Nachlasses zuzüglich ihrer Vorempfänge dar.
Rz. 43
Der Auskunftsanspruch steht aber auch demjenigen pflichtteilsberechtigten Abkömmling zu, der nicht Erbe geworden ist, da dieser für die Berechnung seines Pflichtteilsanspruchs nach § 2316 BGB ebenso auf die Kenntnis von Vorempfängen angewiesen ist. Darüber hinaus hat auch der Testamentsvollstrecker, der mit der Auseinandersetzung beauftragt ist, Anspruch auf Auskunftserteilung gemäß § 2057 BGB.
Rz. 44
Jeder Miterbe, der zu den ausgleichspflichtigen Personen gehört, und jeder pflichtteilsberechtigte Abkömmlin...