Rz. 10
Diese Vorstellung des Gesetzgebers war spätestens mit der 68er Generation überkommen. Die Diskrepanz zwischen Gesetz und Lebenswirklichkeit fand ihren Ausdruck in einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29.1.1969. Darin erteilt die Judikative der Legislative eine klare und deutlich formulierte Anweisung, sich dem Zeitgeist anzupassen, spiegelt aber auch die "Not" des Gesetzgebers wider, sich im Zusammenhang mit der politischen und geschichtlichen Entwicklung zeitnah umstellen müssen. Auszugsweise heißt es:
Zitat
"Durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bereits geklärt, dass diese Grundrechtsvorschrift einen bindenden Auftrag an den Gesetzgeber enthält, dessen Erfüllung nicht in seinem freien Belieben steht. Der Gesetzgeber ist vielmehr verpflichtet, die in Art. 6 Abs. 5 GG ausgesprochene Verheißung zu erfüllen. Er verletzt die Verfassung, wenn er es unterlässt, den Verfassungsauftrag in angemessener Frist auszuführen. … Art. 6 Abs. 5 GG unterscheidet sich von anderen bisher nicht vollzogenen Anweisungen an den Gesetzgeber dadurch, dass er zu dem Normenbereich der Verfassung gehört, der die innerhalb der sozialen Gemeinschaft sich frei entfaltende menschliche Persönlichkeit und ihre Würde in den Mittelpunkt des Wertsystems der Verfassung und des gesamten Rechts stellt. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass nach dem Wertsystem der Grundrechte die schon in der Weimarer Verfassung geforderte Reform des Unehelichenrechts ebenso ein Gebot materialer Gerechtigkeit ist wie die Gleichberechtigung von Mann und Frau; die hier noch bestehende Diskriminierung einer bestimmten Gruppe von Menschen ohne ihr Verschulden, allein wegen eines “Makels der Geburt’, ist mit den Grundrechten der Gleichheit und freien Entfaltung der Persönlichkeit auf die Dauer nicht vereinbar. … Insgesamt ist danach festzuhalten, dass der Verfassungsauftrag des Art. 6 Abs. 5 GG unmittelbar durch die Gerichte verwirklicht werden kann und muss, sofern der Gesetzgeber dies nicht binnen angemessener Frist erfüllt. Diese Frist läuft jedoch spätestens mit dem Ende der gegenwärtigen Legislaturperiode ab."
Rz. 11
Folge dieser Entscheidung war der Erlass des sogenannten Nichtehelichengesetzes, des "Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder", das 1970 in Kraft trat. Inhalt und Zielsetzung dieses Gesetzes war und ist die Regelung der verwandtschaftlichen Beziehung des Kindes zu seinem Vater und der damit einhergehenden Rechtsfolgen, also erb- oder unterhaltsrechtliche Ansprüche des Kindes. Außerdem wurde festgelegt, dass die elterliche Sorge (im Ganzen) der Mutter zustehen sollte. Die Kinder, die außerhalb einer Ehe geboren waren, wurden also nicht mehr von Amts wegen einem Vormund unterstellt, sondern jetzt rechtlich der Mutter zugeordnet. Immer noch aber konnte der Vater das Kind für ehelich erklären lassen mit der althergebrachten Folge, dass die Mutter dann das Sorgerecht verlor. Wenn keine Ehelichkeitserklärung erfolgte, hatte der Vater auch kein Sorgerecht. Auch ein gemeinsames Sorgerecht von nicht miteinander verheirateten Eltern gab es nicht. Und das war auch so gewollt. Denn "eine Begünstigung von Konkubinaten wäre mit dem Schutz von Ehe und Familie unvereinbar". Damit wurde die rechtliche Stellung des außerhalb einer Ehe geborenen Kindes gestärkt ebenso wie diejenige der nichtehelichen Mutter zu ihrem Kind. Allerding deutlich gab der Gesetzgeber auch zu verstehen, dass die Lebensform der nichtehelichen Lebensgemeinschaft nicht dem entsprach, was gesellschaftlich und gesetzlich gewollt war. Zuletzt geändert wurde das Nichtehelichengesetz im Jahre 2011.