Dr. Julia Bettina Onderka, Dr. Michael Pießkalla
I. Wertbestimmung
Rz. 9
Der Gegenstandswert zur Berechnung der Gebühren für die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts bestimmt sich zunächst nach den für die Gerichtsgebühren geltenden Vorschriften (§ 23 Abs. 1 S. 3 RVG). Fehlt es an einer solchen Vorschrift, so ist der objektive Wert zu schätzen, den der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit im Zeitpunkt der Auftragserteilung hat.
Rz. 10
Maßgeblich für die Gebührenberechnung ist also der Wert derjenigen Ansprüche aus dem Unfallereignis, mit deren Durchsetzung oder Abwehr der Anwalt beauftragt wurde. Dies sind in erster Linie Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, daneben Ansprüche auf Feststellung der künftigen Ersatzpflicht des Schädigers sowie auf Freistellung von Ansprüchen Dritter. Gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 6 ZPO ist bei bezifferten Forderungen deren Wert maßgeblich. Dabei sind Zinsen und Kosten, die als Nebenforderungen geltend gemacht werden, auch dann nicht dem Wert hinzuzurechnen, wenn sie als konkreter Betrag beziffert sind.
Beispiel
Unfallgegner G verlangt von Fahrer F Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 3.200 EUR sowie Mietwagenkosten in Höhe von 500 EUR und Sachverständigenkosten von 300 EUR. Daneben will er Verzugszinsen in Höhe von 7 % erstattet erhalten, die er im Anspruchsschreiben mit 125 EUR beziffert.
Der von F beauftragte Anwalt kann seine Gebühr nach Nr. 2300 VV RVG aus einem Streitwert von 4.000 EUR berechnen. Die geltend gemachten Zinsen sind – unabhängig von ihrer Bezifferung – nach § 43 Abs. 1 GKG für die Wertberechnung unbeachtliche Nebenforderungen.
Rz. 11
Bei Feststellungsansprüchen sowie unbezifferten Anträgen ist der Wert nach § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 3 ZPO zu schätzen. Der Streitwert für den Feststellungsantrag bemisst sich nach dem wirtschaftlichen Interesse, das der Kläger nach seinem Sachvortrag an der begehrten Feststellung hat. Da sich die Bewertung jedes Feststellungsanspruchs an dem entsprechenden Leistungsanspruch ausrichten muss, ist dessen Wert vorab zu bestimmen. Von diesem Wert ist dann ein Abschlag von i.d.R. 20 % vorzunehmen, weil ein positiver Feststellungsantrag in seinen Auswirkungen hinter einem Leistungsantrag zurückbleibt.
Rz. 12
Für die Bewertung eines künftigen Schadens ist auf die Höhe des drohenden Schadens abzustellen, jedoch unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit des Schadenseintritts oder der Inanspruchnahme des Gegners.
1. Erhöhung des Wertes
Rz. 13
Erhöht sich der Gegenstandswert des Auftrags im laufenden Mandat, so berechnen sich die Gebühren nach dem höheren Wert. Dies gilt jedoch nur, soweit der betreffende Gebührentatbestand erneut erfüllt wird.
Beispiel
Eigentümer E holt nach dem Unfall einen Kostenvoranschlag seiner Werkstatt ein (4.000 EUR netto) und beauftragt A mit der Durchsetzung dieses Anspruchs gegen den gegnerischen Haftpflichtversicherer. Während die Verhandlungen über die Haftungsquoten noch andauern, wird der Wagen mit einem Kostenaufwand von 6.000 EUR (brutto) repariert. Nunmehr fordert A Zahlung des höheren Betrages.
A kann für seine Tätigkeit eine Geschäftsgebühr aus einem Gegenstandswert von 6.000 EUR abrechnen, da er nach Erhöhung des Auftragswertes den Gebührentatbestand der Nr. 2300 VV RVG erfüllt hat.
Rz. 14
Beispiel
E erteilt A im Hinblick auf den Kostenvoranschlag Klageauftrag über 4.000 EUR. A führt erfolglos ein Telefonat mit dem Sachbearbeiter des gegnerischen Haftpflichtversicherers, um die Angelegenheit beizulegen. Nachdem der Wagen des E für einen Kostenaufwand von 6.000 EUR repariert wurde, bereitet A die Klageschrift vor. Bevor diese eingereicht werden kann, kündigt E grundlos das Mandat.
A kann folgende Gebühren abrechnen:
1. 0,8-Verfahrensgebühr, VV 3101 |
|
|
aus 6.000 EUR |
|
312,00 EUR |
2. 1,2-Terminsgebühr, VV 3104 |
|
|
aus 4.000 EUR |
|
333,60 EUR |
3. Auslagenpauschale, VV 7002 |
|
20,00 EUR |
Zwischensumme |
665,60 EUR |
|
4. Umsatzsteuer, VV 7008 |
|
126,46 EUR |
Gesamt |
|
792,06 EUR |
Eine Terminsgebühr aus dem höheren Wert (6.000 EUR) ist nicht entstanden, weil A nach der Erhöhung des Gegenstandswertes keine Besprechung mehr durchgeführt bzw. keinen Termin wahrgenommen hat
2. Verringerung des Wertes
Rz. 15
Verringert sich der Gegenstandswert des Auftrags im laufenden Mandat (z.B. aufgrund von Teilzahlungen des Gegners, Aufgabe von einzelnen Schadenspositionen etc.), so hat dies auf die bereits entstandenen Gebühren keinen Einfluss. Die neu entstehenden Gebühren richten sich dann nach dem geringeren Wert.
Rz. 16
Beispiel
E erteilt A Klageauftrag über 10.000 EUR Sachschaden. Auf das außergerichtliche Aufforderungsschreiben zahlt der gegnerische Versicherer 4.000 EUR. In einer anschließenden Besprechung wird eine Einigung übe...