Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 91
Die unterschiedliche Behandlung von Verbindlichkeiten spielt bei Zuflüssen aus Schenkung eine besondere Rolle.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist die Voraussetzung für den Einsatz von Einkommen und Vermögen deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit, nicht notwendig dagegen eine Zweckbestimmung.
Rz. 92
Von einer Zweckzuwendung geht die Rechtsprechung aus, wenn Leistung und Gegenleistung so miteinander verbunden sind, dass der mit der Zuwendung verfolgte Zweck in Form der Leistung des Zuwendungsempfängers so in die Vereinbarung miteinbezogen ist, dass er zwar Inhalt der Vereinbarung geworden ist, der Zuwendende dessen Erfüllung aber nicht verlangen kann. Wenn der vom Zuwendenden durch die Schenkung beabsichtigte Zweck nicht erreicht wird, kann nach h.M. eine Rückforderung nach den Regeln der Bereicherung wegen Zweckverfehlung erfolgen. Nach anderer Ansicht erfolgt die Reparatur über den Wegfall der Geschäftsgrundlage. In beiden Fällen besteht bei Zweckverfehlung aber ein Gegenanspruch, der von Gesetzes wegen entsteht.
Rz. 93
Gegenansprüche solcher Art – auch ein Rückforderungsanspruch aus Darlehen oder Treuhandabrede – werden im BAföG beim Vermögen, wenn sie "beachtliche Herausgabeansprüche gegen den Auszubildenden sind", als zu berücksichtigende Schulden i.S.v. § 28 Abs. 3 S. 1 BAföG angesehen.
Rz. 94
In den Existenzsicherungssystemen des SGB II und des SGB XII ist die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Feststellung des vorhandenen Vermögens allenfalls dann geboten, wenn eine Verbindlichkeit unmittelbar auf dem fraglichen Vermögensgegenstand lastet, da der Vermögensgegenstand in diesem Fall nicht ohne Abzüge veräußert werden kann. Das gilt selbst dann, wenn sich die Hilfe suchende Person dadurch außerstande setzt, bestehende vertragliche Verpflichtungen zu erfüllen. Ein Anspruch wegen Zweckverfehlung ist für die Bestimmung des Vermögens i.S.v. §§ 12 SGB II, 90 SGB XII daher weitestgehend ohne Belang.
Rz. 95
Eine Berücksichtigung beim Einkommen kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil in den Gesetzen selbst angeordnet ist, ob eine Zuwendung, die mit einem Zweck verbunden ist, Schoneinkommen sein kann ("normativ" geschontes Einkommen). Dazu gehören die Einkommensvorschriften § 11a SGB II und § 83 SGB XII. So bestimmt z.B. § 11a SGB II, dass gegenüber früherer Rechtslage ab 1.4.2011 private Zweckzuwendungen nicht mehr geschützt sind, sondern nur noch die Zuwendungen, die aufgrund von Vorschriften des öffentlichen Rechts erbracht wurden, und die erbrachten Leistungen ausdrücklich einem anderen Zweck als die Leistungen nach dem SGB II zu dienen bestimmt sein müssen. Es fehlt an einer solchen Zweckbindung dann, wenn der Hilfesuchende weder rechtlich noch tatsächlich daran gehindert ist, die Leistung zur Deckung von Bedarfen nach dem SGB II einzusetzen. Selbst Zuflüsse wie der Sterbe-Vierteljahresbonus des SGB VI unterfallen nicht dem Schutz der zweckgebundenen Zuwendungen, weil sie letztlich der Sicherung des Lebensunterhalts der Hinterbliebenen und damit demselben Zweck wie die Leistungen des SGB II dienen.
Rz. 96
Diese unterschiedliche Betrachtungsweise gegenüber einer Sichtweise, die Verbindlichkeiten und Gegenansprüche als Abzugsposten berücksichtigt, erklärt Fälle wie Fallbeispiel 14.
Rz. 97
Fallbeispiel 14: Die zweckgebundene Geldgabe
Der Sohn S hatte mit seinem Pkw einen Unfall mit Totalschaden erlitten. Er erwarb bei einem Kfz-Händler einen Gebrauchtwagen zum Preis von 4.900 EUR. Dazu legte er die schriftliche Bestätigung seiner Mutter vor, in der diese bestätigte, ihrem Sohn einen Barbetrag in Höhe von 5.000 EUR zweckgebunden für den Kauf eines Kraftfahrzeugs geschenkt zu haben. Das Job-Center hob den bisherigen Bewilligungsbescheid wegen zugeflossener Geldzuwendungen auf.
Rz. 98
Die Zweckbestimmung der Zuwendung reicht nach der Rechtsprechung ebenso wenig wie die zweckentsprechende Verwendung des Betrages, um den Privilegierungstatbestand des § 11a Abs. 5 SGB II zu erfüllen. Ein vertraglicher oder bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch des Schenkers führt "regelmäßig nicht zur Unmöglichkeit der Einkommenszuwendung für den Lebensunterhalt". Das gilt auch dann, wenn die Zuwendung für nicht zum Grundsicherungsbedarf gehörende Anschaffungen gedacht war.
Rz. 99
Dem entspricht die Situation im WoGG, wo die Rechtsprechung sogar noch ein wenig strenger ist. Durch Zweckbestimmungen würden indirekt wohngeldfremde Zwecke gefördert. Es stehe jedoch den Beteiligten nicht zu, nach den Bestimmungen des WoGG zu berücksichtigendes Einkommen durch Zweckbestimmungserklärungen der Berücksichtigung quasi zu entziehen.
Rz. 100
Ergebnis Fallbeispiel 14:
Die Zweckzuwendung der Mutter könnte gegen eine Berücksichtigung im SGB II/SGB XII nur dann geschützt sein, wenn sich ein "normativer Schutzschirm" finden ließe. Das ist auf den ersten Blick aber nicht der Fall, denn die existenzsichernden Systeme des SGB II und des SGB XII kennen einen Abzug von "Schulden und ...