Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 138
Grundsicherung = Sicherung eines Existenzminimums beruht auf dem Prinzip der Menschenwürde und der Solidarität. Deshalb wird im Regelfall im Recht des sozialen Nachteilsausgleichs nicht danach gefragt, warum der Betroffene bedürftig i.S.d. Gesetzes ist. Das BVerfG führt dazu aus: "Das Sozialstaatsprinzip verlangt staatliche Vor- und Fürsorge auch für jene, die aufgrund persönlicher Schwäche oder Schuld, Unfähigkeit oder gesellschaftlicher Benachteiligung in ihrer persönlichen und sozialen Entfaltung behindert sind." Der Gesetzgeber darf deshalb zwar keine grundsätzliche Leistungsverweigerung betreiben, aber durchaus auf die Aufkündigung der Solidarität durch den nunmehr Bedürftigen reagieren.
Solche Fälle tauchen bei Erbfall und Schenkung in zwei Konstellationen auf:
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Der Schenkende hat sich mit der Zuwendung so weit bedürftig gemacht, dass er seinen Unterhaltsbedarf nicht mehr selbst decken kann. |
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Der Zuwendungsempfänger aus Erbfall und Schenkung gestaltet seine konkrete Lage so, dass er den Zufluss nicht oder nicht mehr bedarfsdeckend einsetzen kann. |
a) Schenkungsrückforderungsanspruch (§ 528 BGB) / Missbräuchliche Vermögensverschiebung
Rz. 139
Der erste Fall bezieht sich auf den Schenkungsrückforderungsanspruch der §§ 528 ff. BGB. Auf welcher Ebene der Bedürftigkeitsprüfung ein solcher Anspruch in den einzelnen nachrangigen Gesetzen rechtserheblich ist, ist nicht einheitlich zu beantworten.
Z.T. wird angenommen, es handele sich um Vermögen, z.T. wird angenommen, es handele sich um Einkommen, z.T. wird die rechtliche Qualität des Schenkungsrückforderungsanspruchs offengelassen:
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Rechtsprechung SGB XII: offengelassen; als Vermögen bewertet; als Einkommen bewertet im BSHG |
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Rechtsprechung SGB II: als Vermögen bewertet; offengelassen |
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Rechtsprechung SGB VIII: offengelassen |
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Rspr. BVG: als Vermögen bewertet. |
Rz. 140
Im SGB II wäre die Bewertung des Schenkungsrückforderungsanspruchs als Vermögen an sich durch die Änderung des Einkommensbegriffs in § 11 SGB II in 2016 als geklärt anzusehen, wenn man den reinen Anspruch betrachtet, weil nur noch Geld Einkommen darstellen kann, nicht aber mehr Mittel in Geldeswert. Damit käme der Berechtigte in den Genuss des Schonvermögensbetrages nach § 12 SGB II, während es für den Sozialhilfebezieher des SGB XII einen solchen Schonbetrag nicht gibt. Allerdings wird hierzu die Einschränkung vertreten, dass dies nur dann Bestand habe, wenn eine Vermögensverwertung in angemessener Zeit zu erwarten sei. Dann erhalte der Hilfsbedürftige nur noch ein Darlehen nach § 24 Abs. 5 SGB II. Falls das nicht der Fall sei, handele es sich um eine gewöhnliche Geldforderung im Sinne von § 270 BGB und die Erfüllung des Anspruches (so für den Pflichtteils- und Vermächtnisanspruch) sei dann Einkommen.
Rz. 141
Im BAföG ist Einkommen nach § 21 BAföG an den steuerrechtlichen Einkommensbegriff gebunden, so dass ebenfalls nur die Qualität als Vermögen in Betracht kommt, was im Endergebnis wegen des Vermögensfreibetrages nach § 29 BAföG als Abzugsposten und der Verteilung des gesamten Vermögensbetrages auf 12 Kalendermonate nach § 30 BAföG zu einem völlig abweichenden Ergebnis gegenüber dem SGB II und dem SGB XII führt, das ja auf Bedarfsdeckung abzielt.
Rz. 142
Im SGB XII wird z.T. von der Kommentarliteratur angenommen, man müsse eine Schenkung vorab einer Sittenwidrigkeitsprüfung unterziehen. Erst wenn die Sittenwidrigkeit der Schenkung verneint werde, könne man überhaupt einen Schenkungsrückforderungsanspruch prüfen.
Rz. 143
Im BAföG entspricht dies einer zusätzlich von der Rechtsprechung entwickelten Fallkategorie, wonach Vermögen, das rechtsmissbräuchlich verschenkt oder mit Verbindlichkeiten belastet wurde, dem Auszubildenden fiktiv weiter als Vermögen zuzurechnen ist. Dabei muss die Schwelle der Nichtigkeit gem. §§ 134, 138 BGB nicht überschritten sein. Die Rechtsmissbräuchlichkeit einer Vermögensübertragung wird an den Indikatoren
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Rechtsgrundlosigkeit |
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Unentgeltlichkeit und |
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zeitliche Nähe der Übertragung zur Beantragung der Ausbildungsförderung |
festgemacht.
Rz. 144
Dem wiederum steht gegenüber, dass die Rechtsprechung sowohl im SGB VIII wie auch für das BAföG entschieden hat, dass der Hilfesuchende vor dem ersten Leistungsbezug weitestgehend frei ist, was er mit seinem Vermögen tut, und dass es keine vorgelagerte Obliegenheit zur sparsamen Verwendung der Mittel gibt. Man bewegt sich also auf einem schmalen Grat.
Rz. 145
Ob die Argumentation einer neben dem Schenkungsrückforderungsanspruch noch bestehenden sittenwidrigen Schenkung greifen kann, hängt m.E. von der Ausgestaltung der Regressregeln des jeweiligen Gesetzes ab.