Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 42
Die Unterschiedlichkeit der Einkommens- und Vermögensbegriffe in den unterschiedlichen nachrangigen Gesetzen hat auch Auswirkungen auf Fälle, in denen der Bedürftige in absehbarer Zeit das Leistungssystem wechseln muss, z.B. vom SGB II zum SGB XII.
Rz. 43
Fallbeispiel 10: Einmal Hartz-IV – nicht immer Hartz-IV
Die Tochter T ist Jahrgang 1955 und lebt seit vielen Jahren von Grundsicherung für erwerbsfähige Menschen nach dem SGB II. Ihr Vater V verstirbt im November 2020. Er hinterlässt der T 50.000 EUR in bar.
Variante: V hinterlässt eine kleine Eigentumswohnung im Wert von 50.000 EUR, die T schon bisher als Mieterin ihres Vaters bewohnt hat.
Rz. 44
Ergebnis Fallbeispiel 10:
T ist erwerbsfähig und erreicht die Altersgrenze für einen Anspruch auf Grundsicherung nach § 41 Abs. 2 SGB XII erst mit 65 Jahren und 9 Monaten. Sie hat daher einen Anspruch auf Grundsicherung nach § 19 SGB II, wenn ihr zur Bedarfsdeckung kein Einkommen nach § 11 SGB II zur Verfügung steht.
§ 11 SGB II bestimmt, dass Einkommen nur Einnahmen in Geld sind. Somit ist der Barnachlass Einkommen und nach den Regeln der §§ 11 ff. SGB II mit nur wenigen Abzugsposten nach dem Bedarfsdeckungsprinzip anzurechnen. Als einmalige Einnahme ist der Betrag nach § 11 Abs. 3 S. 3 SGB II auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen. Damit entfällt der Anspruch auf Grundsicherung nach § 19 SGB II gesichert. Nach Ablauf der sechs Monate ist das restliche Geld Vermögen nach § 12 SGB II (sog. "Wechsel des Aggregatzustands").
An dem Tag, an dem das Vermögen den Vermögensschonbetrag nach § 12 Abs. 1 SGB II unterschreitet, besteht ein neuer Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende nach § 19 SGB II. Dieser Anspruch endet, wenn T die Altersgrenze bereits wenige Monate später erreicht. Stehen dann nicht genügend Mittel zur Existenzsicherung bereit, unterfällt T dem § 41 SGB XII, der den Einsatz eigener Mittel in § 43 SGB XII nach den Regeln der §§ 82–84 SGB XII und den Einsatz des Vermögens nach §§ 90 und 91 SGB XII verlangt. Da der Betrag dann bereits in Vermögen nach Maßgabe der vorstehenden Regelung übergegangen ist, kommt nunmehr die Anrechnung des Barvermögens nur noch nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. der diesbezüglichen DVO in Betracht. Der Vermögensschonbetrag beträgt für T dann nur noch 5.000 EUR.
Rz. 45
Ergebnis Fallbeispiel 10 – Variante:
Die Eigentumswohnung ist demgegenüber Vermögen sowohl nach § 12 SGB II als auch nach § 90 SGB XII. Und da sie bereits selbst genutzt ist und man annehmen darf, dass sie auch nur eine angemessene Größe hat, ist sie Schonvermögen nach § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, S. 2 SGB II und führt nicht zum Wegfall des Leistungsbezugs. Nunmehr wird allerdings der Wohnbedarf aus Eigentum gedeckt und die damit verbundenen Kosten müssen als Kosten der Unterkunft nach § 22 SGB II geltend gemacht werden.
Rz. 46
Fazit
Fallbeispiel 10 zeigt, dass dann, wenn in der Person des Bedürftigen zeitabschnittsweise unterschiedliche Gesetze zur Anwendung kommen, dies bezogen auf ein und denselben erbrechtlichen oder schenkungsrechtlichen Zufluss zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen führen kann.