Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 107
Im SGB VIII reduzieren Schulden das Einkommen und reduziertes Einkommen führt zu einem niedrigeren Kostenbeitrag. Im BAföG reduzieren Schulden das Vermögen. Reduziertes Vermögen führt zu einem niedrigeren anrechenbaren Vermögen, das anteilig zu verteilen ist. Auf Fragen des Verbrauchs der zugeflossenen Mittel aus Erbfall und Schenkung kommt es nicht an. Das ist in den existenzsichernden Systemen des SGB II und des SGB XII anders.
Die unterschiedliche Behandlung von Verbindlichkeiten (Schulden) in den diversen nachrangigen Gesetzen zieht eine Reihe schwieriger Rechtsfragen dort nach sich, wo Schuldentilgung nicht akzeptiert wird.
Rz. 108
Fallbeispiel 15: Die Erbschaft in der Bedarfsgemeinschaft des SGB II
M und F leben in eheähnlicher Gemeinschaft und beziehen seit Oktober 2010 als Bedarfsgemeinschaft Arbeitslosengeld II ("Hartz IV").
M wurde 2015 Miterbe nach seinem Vater und erhielt im Mai 2017 von seinem Bruder 8.000 EUR als Miterbe auf sein Konto ausgezahlt. Zum Zeitpunkt der Gutschrift betrug der mit seiner Bank vereinbarte Dispositionskredit 2.900 EUR. Sein Konto war zu diesem Zeitpunkt mit 2.985 EUR im Soll. Nach Gutschrift der 8.000 EUR betrug das Guthaben 5.015 EUR.
Das Jobcenter hob für den Zeitraum 1.6.2017 bis 31.10.2017 den Leistungsbescheid teilweise unter Aufteilung der 5.015 EUR auf sechs Kalendermonate auf. Bei der Aufhebung seines Leistungsbescheides hatte das Jobcenter die Schuldentilgung nicht berücksichtigt, sondern für die in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 SGB II) lebenden M und F den gesamten aus der Erbschaft stammenden Betrag berücksichtigt. M und F wehren sich gegen die Aufhebung des Leistungsbescheides und tragen vor, den Betrag verbraucht zu haben.
Rz. 109
Ergebnis Fallbeispiel 15:
M ist Miterbe nach seinem Vater geworden (§§ 1922 Abs. 2, 2047 BGB). Durch die Auszahlung des Erbanteils wurde die Erbengemeinschaft aufgelöst und M flossen verfügbare Mittel zu.
F wurde nicht Miterbin. Ihr stand zivilrechtlich auch kein Recht an dem Miterbenanteil zu. F und M sind nicht verheiratet. Unterhaltsansprüche – gleich welcher Art (§§ 1601 ff., 1361, 1569 ff. BGB) – bestehen nicht. Gleichwohl hat der Fall Bedeutung für die Leistungsansprüche beider Partner, da sie sich in Bedarfsgemeinschaft befinden.
Wegen des Nachranggrundsatzes gilt, dass die Schuldentilgung im Sozialhilferecht kein anerkennenswerter Bedarf ist ("keine Sozialhilfe zur Schuldentilgung"). Die Rechtsprechung mutet dem Hilfebedürftigen zu, seine Mittel vorrangig zur Deckung seines sozialhilferechtlich anerkannten Bedarfs zu verwenden. Dass er sich dadurch außerstande setzt, bestehende gesetzliche oder vertragliche Verbindlichkeiten zu erfüllen, muss nach den Grundprinzipien des Sozialhilferechts hingenommen werden.
Die zugeflossenen 8.000 EUR hat das BSG als einmalige Einnahme i.S.d. § 11 Abs. 3 SGB II berücksichtigt, auf den gesetzlich vorgegebenen Verteilungszeitraum verteilt und dabei eine Verminderung des zugeflossenen Einkommens durch die Rückführung des Solls auf dem Konto des M in Höhe von 2.985,89 EUR grundsicherungsrechtlich abgelehnt, weil im Monat der Einkommensberücksichtigung dennoch ein tatsächlicher Wertzuwachs eingetreten sei.
Damit hat das BSG einmal mehr den Grundsatz bestätigt, dass Zahlungen auf Verbindlichkeiten – abgesehen von normierten oder besonderen Einzelfällen – im SGB II und SGB XII grundsätzlich keine Abzugsposten vom Einkommen sind. Die normative Berücksichtigung der zugeflossenen 8.000 EUR bleibe – so das BSG – davon unberührt, dass diese Einnahme aufgrund des mit der Bank vereinbarten Dispositionskredits teilweise dazu gedient habe, das Kontosoll zurückzuführen. Hierbei handele es sich lediglich um eine Einkommensverwendung, durch die der Zufluss der 8.000 EUR nicht teilweise den Charakter als Einkommen verliere. Vielmehr erweise sich deren Einkommenscharakter eben darin, dass hieraus das Kontosoll zurückgeführt werden konnte.
Rz. 110
Die Konsequenz dieser Rechtsauffassung ist, dass dem Betroffenen für den vorgesehenen Verteilzeitraum möglicherweise nicht mehr genügend Mittel zur Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen. Eine einmalige Einnahme kann im Verteilzeitraum aber nur berücksichtigt werden, soweit sie nicht bereits zu anderen Zwecken als zur Bestreitung einer aktuellen Notlage verwendet wurde und deshalb geeignet ist, den konkreten Bedarf im jeweiligen Monat zu decken. Deshalb muss der Leistungsträger seine Hilfeleistungen wieder aufnehmen oder fortsetzen. Das hat für den Leistungsberechtigten allerdings den Nachteil, dass ggf. Kostenersatz nach §§ 34 SGB II, 103 SGB XII droht. Im SGB II gilt seit 1.1.2017 § 24 Abs. 4 SGB II, wonach Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Darlehen erbracht werden können, soweit der Leistungsberechtigte einmalige Einnahmen nach § 11 Abs. 3 S. 4 SGB II vorzeitig verbraucht hat.
Rz. 111
Wenn die Aufhebung des Leistungsbescheides für die Vergangenheit erfolgt, ist die Minderung des Einkommens durch Schuldentilgung unbeachtlich, weil nic...