Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 146
Die existenzsichernden Leistungen des SGB II und des SGB XII haben spezielle Regressregeln dafür, dass ein Leistungsberechtigter nach Vollendung des 18. Lebensjahres sein Einkommen oder Vermögen vermindert hat in der Absicht, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung der Leistung herbeizuführen (§ 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II; § 26 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII). Das Arbeitslosengeld II mindert sich nach § 31a SGB II in einer ersten Stufe um 30 % des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Nach § 26 SGB XII soll die Leistung bis auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche eingeschränkt werden.
Rz. 147
In beiden Gesetzen gibt es Kostenersatzansprüche. Nach § 103 SGB XII ist zum Ersatz der Kosten der Sozialhilfe verpflichtet, wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres für sich oder andere durch vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verhalten die Voraussetzungen für die Leistungen der Sozialhilfe herbeigeführt hat. § 34 Abs. 1 SGB II präzisiert:
Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen erbrachten Geld- und Sachleistungen verpflichtet. Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde. …
Der Sozialleistungsträger kann in beiden Fällen mit Kostenersatzansprüchen gegenüber Sozialleistungsansprüchen aufrechnen.
Rz. 148
Andere nachrangige Sozialgesetze kennen solche Regressregeln wegen des Sichbedürftigmachens nicht.
Rz. 149
Nach diesseitiger Ansicht gehen diese sozialrechtlichen Regressregeln der Anwendung von § 138 BGB vor. Das hat der BGH nach diesseitiger Ansicht dadurch bestätigt, dass er beim Pflichtteilsverzicht eines (behinderten) Sozialhilfeempfängers ausdrücklich ausgeführt hat:
Zitat
"Die pflichtwidrige Herbeiführung der eigenen Bedürftigkeit kann innerhalb des sozialrechtlichen Regelungssystems mit Leistungskürzungen sanktioniert werden. … Für das Hineinwirken eines solchen öffentlich-rechtlichen Regelungsprinzips in die Zivilrechtsordnung über § 138 Absatz 1 BGB, um Behinderten die erbrechtlichen Instrumente zu beschneiden, fehlt dagegen eine tragfähige Grundlage."
Rz. 150
In anderen nachrangigen Leistungssystemen braucht man dagegen vielleicht § 138 BGB, weil es keine vergleichbaren sozialrechtlichen Regeln zur Wiederherstellung des Nachranggrundsatzes oder zur Sanktionierung von leistungsschädlichem Verhalten gibt. So hat die Rechtsprechung zu § 21 Nr. 3 WoGG eine eigenen Fallgruppe der Sozialwidrigkeit entwickelt, die sie weit ausdehnt. Der Betroffene müsse sich im Zusammenhang mit der isolierten oder doch isolierbaren Verfolgung wohngeldrechtlicher Zwecke in einer Weise verhalten, die qualitativ oder in gesteigertem Ausmaß quantitativ ungewöhnlich sei, und dieser Ungewöhnlichkeit wegen müsse sich die Annahme aufdrängen, die Grundlage des Wohngeldanspruchs sei (ggf. insoweit) gleichsam "künstlich" oder "konstruiert". Das Verhalten müsse sich im Einzelfall aus der Perspektive eines objektiven Beobachters nicht zwingend als sittenwidrig, verwerflich oder gar betrügerisch darstellen. Es müsse sich im Hinblick auf das Gebot einer sparsamen und effektiven Verwendung staatlicher Mittel als unangemessen und sozialwidrig darstellen. Das könne der Fall sein, wenn mögliche Ansprüche nicht geltend gemacht oder so ausgestaltet würden, dass der Bezug von Wohngeld "passend" gemacht werde.
Rz. 151
Immer wird man aber zu beachten haben, dass der BGH dem Vertrag zu Lasten Dritter eine Absage erteilt hat:
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Grundsätzlich können alle vom Gesetz bereitgestellten Gestaltungsinstrumente ausgeschöpft werden. |
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Bei nachteiligen Wirkungen zu Lasten der Allgemeinheit ist nicht die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts durch besondere Gründe im Einzelfall zu rechtfertigen, sondern positiv festzustellen und zu begründen, gegen welche übergeordneten Wertungen das Rechtsgeschäft verstößt und weshalb seine Wirksamkeit nicht hingenommen werden kann. |
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Für Dritte mittelbar durch das Rechtsgeschäft verursachte nachteilige Wirkungen (Reflexe) sind hinzunehmen und berühren die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts im Regelfall nicht. |
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Es bedarf gesetzlicher Regelungen, wenn Nachteile Dritter im konkreten Fall bestätigt oder ausgeglichen werden sollen. |
Das rechtfertigt z.B. auch einen Leistungsanspruch trotz Pflichtteilsverzichts.
Vgl. hierzu ausführlich Fallbeispiel 20: Der Verzicht auf den Pflichtteil (§ 3 Rdn 67).