Dr. Gudrun Doering-Striening
Rz. 86
In nachrangigen Leistungsgesetzen rangiert die Berücksichtigungsfähigkeit von Schulden bei der Einkommens- und Vermögensermittlung über die gesamte Bandbreite der Möglichkeiten. Von der Ablehnung der Anerkennung von Schuldentilgung bis hin zur Regelung in § 28 Abs. 3 BAföG, der bestimmt, dass bestehende Lasten und Schulden beim Vermögen abgezogen werden können, kommt alles vor. § 93 Abs. 3 S. 4 Nr. 3 SGB VIII ermittelt z.B. das anrechenbare Einkommen unter Schuldabzug, was in anderen nachrangigen Leistungsgesetzen völlig undenkbar ist. Dafür bleibt es bei der Vermögensberücksichtigung nach § 92 Abs. 1a SGB VIII durch die Inbezugnahme von § 90 SGB XII dabei, dass Schulden im Regelfall nicht abzugsfähig sind.
Rz. 87
Die Hilfesysteme des SGB II und des SGB XII unterstützen keine Vermögensbildung und einen Vermögenserhalt nur im Rahmen vorgegebener Schontatbestände. In diesem Zusammenhang steht, dass Schuldentilgung im Sozialhilferecht kein anerkennenswerter Bedarf ist ("keine Sozialhilfe zur Schuldentilgung") und die Rechtsprechung dem Hilfebedürftigen zumutet, seine Mittel vorrangig zur Deckung seines sozialhilferechtlich anerkannten Bedarfs zu verwenden. Dass er sich dadurch außerstande setzt, bestehende gesetzliche oder vertragliche Verbindlichkeiten zu erfüllen, muss nach den Grundprinzipien des Sozialhilferechts hingenommen werden. Im BAföG wird dagegen der Aspekt der Vermögensbildung als nicht rechtserheblich angesehen, was die Zulässigkeit des Schuldabzugs erklärt.
Rz. 88
Viele nachrangige Gesetze verweisen auf den Vermögenseinsatz nach § 90 SGB XII. Bei der Rechtsanwendung in der Praxis wird manchmal verkannt, dass der Vermögensbegriff des § 90 SGB XII definiert wird als die Summe aller aktiven Vermögenswerte und Passiva erst bei der Frage nach der Verwertbarkeit oder der Zumutbarkeit der Verwertung zu berücksichtigen sind. Vermögen ist nicht der Differenzbetrag zwischen Aktiva und Passiva. Insbesondere können schuldrechtliche Verbindlichkeiten, die dem Vermögensgegenstand nicht unmittelbar anhaften, dessen Vermögenseigenschaft nicht ausschließen.
Rz. 89
Ein praktisch relevantes Beispiel, in dem die Übertragung der Verweisung von einer in die andere Norm nicht gelungen ist, ist m.E. die Rechtsprechung des BGH zur fehlerhaften Freigabe von Mitteln aus einem Behindertentestament durch einen Testamentsvollstrecker im Rahmen der Geltendmachung verauslagter Betreuerkosten durch die Staatskasse:
Ein Betreuter muss nach § 1836c BGB eigenes Einkommen (§§ 82, 85, 86 SGB XII) und nach Maßgabe des § 90 SGB XII auch sein eigenes Vermögen zur Finanzierung der Betreuerkosten einsetzen. Damit wird alles tatsächlich und rechtliche verwertbare Vermögen einbezogen. Aus der Testamentsvollstreckung freigegebenes Vermögen ist für einen bedürftigen Leistungsbezieher sozialhilferechtlich Einkommen und ggf. später Vermögen. Der BGH regelt das Problem trotz der Verweisungen auf die Begriffe des SGB XII gleichwohl zivilrechtlich und saldiert das vorhandene Vermögen mit einem Bereicherungsanspruch des fehlerhaft handelnden Testamentsvollstreckers. Trotz pflichtwidrigen Handelns des Testamentsvollstreckers entfalle die Mittellosigkeit des Betreuten nicht.
Rz. 90
Im Sozialhilferecht des SGB XII – und auch des SGB II – wäre dieses Ergebnis so nicht akzeptabel, weil aus der Subsidiarität der staatlichen Fürsorge folgt, dass sie erst eingreifen soll, wenn der Hilfebedürftige ihm zur Verfügung stehende Mittel verbraucht hat. Es gibt deshalb im Regelfall keine Berücksichtigung von Schulden und auch bei der Feststellung des Vermögens werden in der Regel keine Passiva abgezogen.
Zitat
"Die Berücksichtigung von Verbindlichkeiten bei der Feststellung der vorhandenen Vermögenswerte ist allenfalls geboten, wenn eine Verbindlichkeit unmittelbar auf dem fraglichen Vermögensgegenstand (z.B. eine auf ein Grundstück eingetragene Hypothek) lastet, da der Vermögensgegenstand in diesem Fall nicht ohne Abzüge veräußert werden kann."
Der BGH hat diesen Unterschied nicht gesehen und in der Konsequenz auch nicht diskutiert. Das geschieht auch in anderen Rechtsgebieten, wenn auf das SGB XII verwiesen wird.
1. Die Zweckzuwendung
Rz. 91
Die unterschiedliche Behandlung von Verbindlichkeiten spielt bei Zuflüssen aus Schenkung eine besondere Rolle.
Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist die Voraussetzung für den Einsatz von Einkommen und Vermögen deren bedarfsbezogene Verwendungsmöglichkeit, nicht notwendig dagegen eine Zweckbestimmung.
Rz. 92
Von einer Zweckzuwendung ...