a) Allgemeines
Rz. 62
Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit hat sich insoweit bewährt, als sie regelmäßig zu der Rechtsordnung führt, mit der der Betroffene am engsten verbunden ist. Die Zuordnung ist dauerhaft und regelmäßig auch leicht feststellbar.
Rz. 63
Die Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit führt dennoch in einigen Fällen noch nicht zu einem eindeutigen Ergebnis. Das gilt für folgende Fälle:
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Der Betroffene gehört zugleich zwei oder noch mehreren Staaten an (Doppel- bzw. Mehrstaater). |
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Der Betroffene gehört keinem Staat mehr an (Staatenloser). |
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Der Heimatstaat enthält kein einheitliches Rechtssystem, sondern in einzelnen Regionen abweichende Rechtsordnungen (interlokale Rechtsspaltung). In Europa trifft dies für das Familienrecht in Spanien, Großbritannien, Bosnien und Herzegowina (Republik Srpska), Serbien und in Griechenland (islamische Minderheit in Thrazien) zu. |
Für diese Fälle des technischen Versagens der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit enthält das EGBGB ergänzende Vorschriften in Art. 5 Abs. 1, 2 und Art. 4 Abs. 3 EGBGB.
Rz. 64
Hält sich eine Person dauerhaft in einem Staat auf, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzt, mag sie vielfach enger mit dem dort geltenden Recht verbunden sein; ggf. kennt sie sogar ihr "Heimatrecht" nicht. Das gilt insbesondere für solche Personen, die im "Ausland" aufgewachsen sind oder so lange im Ausland gelebt haben, dass sie die aktuellen rechtlichen Entwicklungen in ihrem Heimatstaat nicht mehr nachvollziehen können. Hier mag es nicht mehr gerechtfertig sein, sie dem Recht ihres "Heimatstaates" zu unterstellen (teleologisches Versagen der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit). Eine gesetzliche Ausweichlösung gibt es hier allein für Flüchtlinge, Asylanten und andere Personengruppen mit besonderem Status. In anderen Fällen schafft die Möglichkeit zu einer Rechtswahl des am gewöhnlichen Aufenthalt geltenden Rechts eine Erleichterung (Art. 10, 15 Abs. 2 etc. EGBGB; siehe Rdn 91). Eine "Effektivitätsprüfung" bei der Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit, wie sie in den Niederlanden gilt, kennt das deutsche Recht aber nicht.
Rz. 65
Die Staatsangehörigkeit ist ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis. Maßgeblich ist das Staatsangehörigkeitsrecht jeweils des Staates, dessen Staatsangehörigkeit im Raume steht. Theoretisch wären daher stets die Gesetze sämtlicher Staaten dieser Erde daraufhin zu überprüfen, ob sie nicht den Betreffenden auch zu den ihren zählen. In der Praxis kann man sich auf die Staaten beschränken, zu denen effektive Beziehungen bestehen, da daneben bestehende Zugehörigkeiten zu weiteren Staaten – zumindest aus deutscher Sicht – gem. Art. 5 Abs. 2 S. 1 EGBGB ohnehin unberücksichtigt blieben (siehe Rdn 83 ff.).
Rz. 66
Soweit eine ausländische Staatsangehörigkeit geprüft wird, ist zu berücksichtigen, dass vorgreifliche zivilrechtliche Rechtsverhältnisse (Abstammung, Eheschließung) nicht wie zivilrechtliche Vorfragen nach dem deutschen IPR zu prüfen sind, sondern dass vom IPR des Staates auszugehen ist, dessen Staatsangehörigkeit in Rede steht. Eine Ausnahme von der Regel der selbstständigen Vorfragenanknüpfung (siehe Rdn 39) im IPR liegt hierin nicht, denn mit der Hauptfrage bewegen wir uns nicht im privaten, sondern im öffentlichen Recht.
b) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit
Rz. 67
Im Folgenden wird ein Überblick über die Erwerbstatbestände für die deutsche Staatsangehörigkeit gegeben, soweit sie für die Beurteilung und Beratung im internationalen Familienrecht bedeutsam sein können.
aa) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Abstammung
Rz. 68
Die deutsche Staatsangehörigkeit wird regelmäßig durch Abstammung erworben (ius sanguinis). Wer als Kind einer deutschen Mutter oder eines deutschen Vaters geboren worden ist, ist gem. § 4 Abs. 1 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG; vormals Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22.7.1913) ebenfalls deutscher Staatsangehöriger. Dies gilt unabhängig davon, ob aufgrund der Abstammung vom anderen Elternteil oder aus anderen Gründen zugleich eine weitere Staatsangehörigkeit erworben wird. Insoweit wurde Mehrstaatigkeit auch schon in dem vor 1999 geltenden Staatsangehörigkeitsrecht hingenommen. Ist das Kind außerehelich geboren worden und hat nur der Vater die deutsche Staatsangehörigkeit, bedarf es zur Geltendmachung des Erwerbs der deutschen Staatsangehörigkeit durch das Kind der Feststellung der Abstammung vom deutschen Vater durch eine "nach den deutschen Gesetzen wirksamen" Anerkennung oder Vaterschaftsfeststellung. Die "deutschen Gesetze" umfassen in diesem Zusammenhang auch das IPR. Es gilt daher das gem. Art. 19 EGBGB bestimmte Abstammungsstatut für die Frage, ob und wie die Anerkennung und Vaterschaftsfeststellung erfolgt. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit durch Abstammung ist nicht davon abhängig, dass dieser irgendwie angemeldet, amtlich bestätigt oder verlautbart wird. Daher ist eine im Ausland als Kind einer deutschen Mutter geborene und aufgewachsene Person Deutscher, selbst wenn sie sich der deutschen Staatsangehörigkeit niemals bewusst geworden ist.
bb) Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland
Rz. 69
Durch die Änderung des Staatsangeh...