Rz. 5

Darüber hinaus wird auch der Rat der Europäischen Gemeinschaften zunehmend auf dem Gebiet des internationalen Familienrechts gesetzgeberisch tätig. Im sog. Stockholmer Programm des Europäischen Rates vom 11.12.2009 wurde beschlossen, auch auf dem Bereich des internationalen Familien- und Erbrechts innerhalb der Europäischen Union die Rechtsangleichung zu betreiben. Die entsprechenden Maßnahmen werden gem. Art. 81 Abs. 3 AEUV vom Rat der Union nach Anhörung des Europäischen Parlaments getroffen.

aa) Brüssel II-VO und Brüssel IIa-VO

 

Rz. 6

Die Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten (Brüssel II-VO)[2] brach als erster Gesetzgebungsakt der EU gezielt in das Familienrecht ein. Sie trat am 1.3.2001 in Kraft. Die Brüssel II-VO wurde zum 1.3.2005 schon wieder durch die "Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27.11.2003 über die Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000" (Brüssel IIa-VO)[3] ersetzt, welche nun die internationale Zuständigkeit und Anerkennung von Entscheidungen in Sorgerechtsstreitigkeiten umfassender regelt. Damit verdrängt sie in ihrem Anwendungsbereich insbesondere auch das Haager MSA bzw. das Haager KSÜ. Eine weitere Reform ist aktuell in Arbeit. Ausgenommen ist insoweit allein das Königreich Dänemark, das von seinem Recht zum Opt-out für diese Maßnahmen Gebrauch gemacht hat.[4] Die Durchführungsbestimmungen zur Brüssel IIa-VO in Deutschland wurden in das "Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz (IntFamRVG)" aufgenommen.[5] Außer zivilprozessualen Normen, die die Zuweisung der internationalen Zuständigkeit aus der EG-Verordnung im nationalen Bereich im erforderlichen Maße ausfüllen, enthält dieses Gesetz allerdings keine Vorschriften des materiellen internationalen Familienrechts.

[2] Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 29.5.2000 (ABl EG L 160/19).
[3] ABl EG L 338/1 vom 23.13.2003; Text mit Einführung von Andrea Schulz z.B. in der Beilage zu NJW-Heft 18/2004 und FPR-Heft 6/2004.
[4] Sog. Dänemark-Protokoll, vgl. Art. 61 lit. c i.V.m. Art. 65 AEUV.
[5] BGBl 2005 I, 162. Verkündet als Art. 1 des Gesetzes zum internationalen Familienrecht vom 31.1.2005 (BGBl I, 162).

bb) Rom III-VO

 

Rz. 7

Ein Versuch der EU, die Regeln der Brüssel IIa-VO durch ein einheitliches Kollisionsrecht für die Scheidung zu ergänzen, war zunächst gescheitert.[6] Daher wurde ein zweiter Versuch im Wege der Verstärkten Zusammenarbeit i.S.v. Art. 328 AEUV gestartet. Der "Verordnung (EU) Nr. 1259/2010 des Rates vom 20.122010 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich des auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendenden Rechts" (sog. Rom III-VO)[7] haben sich dann 14 europäische Staaten angeschlossen. Seit dem 21.6.2012 gilt die Rom III-VO auch in Deutschland.

[6] Interessanterweise nicht am Widerstand der scheidungsfeindlichen Staaten (z.B. Malta, das keine Scheidung kennt, aber auch Irland mit einer Trennungszeit von mindestens fünf Jahren), sondern an dem scheidungsliberalen Schweden.
[7] ABl EG L 323/10 vom 29.12.2010. Siehe dazu unten Rdn 272 ff.

cc) EU-UnterhaltsVO

 

Rz. 8

Für die internationale Zuständigkeit der Gerichte in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen der anderen Mitgliedstaaten,[8] die Gewährung von Prozesskostenhilfe für Vertragsparteien, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, die Vollstreckung von öffentlichen Urkunden und gerichtlichen Vergleichen auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts und die Kooperation der Behörden der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Unterhaltsrechts gilt seit dem 18.6.2011 die Europäische Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen[9] (EU-UnterhaltsVO).

[8] Ausgenommen ist insoweit allein das Königreich Dänemark.
[9] ABl EG L 7/1 vom 10.1.2009.

dd) Haager Unterhaltsprotokoll (HUntProt)

 

Rz. 9

Zur Bestimmung des auf die Unterhaltspflichten anzuwendenden Rechts enthält die EU-UnterhaltsVO keine eigenen Kollisionsnormen. Stattdessen bestimmt Art. 15 EU-UnterhaltsVO, dass sich das auf Unterhaltspflichten anwendbare Recht nach dem Haager Protokoll vom 23.11.2007 über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht (HUntProt) bestimme. Da dieses mangels Erreichens der erforderlichen Anzahl von Ratifikationen völkerrechtlich noch nicht in Kraft getreten ist (siehe Rdn 13 Ziff. 17), gilt dieses seit dem 18.6.2011 nun in Deutschland und den anderen EU-Mitgliedstaaten (ausgenommen Dänemark und das Vereinigte Königreich) als europäisches Verordnungsrecht.

ee) Die EUGüVO

 

Rz. 10

Zur Regelung des internationalen Güterrechts hatte die Europäische Kommission am 16.3.2011 einen Vorschlag für eine Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerke...

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