I. Rechtsvergleichender Überblick
Rz. 194
Im materiellen Güterrecht herrscht nach wie vor große Vielfalt in Europa. In den westeuropäischen Ländern, die dem frz. code civil folgen, gilt fast ausnahmslos die sog. Errungenschaftsgemeinschaft: Die Eheleute leben in einer Gütergemeinschaft, die auf das während der Ehe erworbene Vermögen beschränkt ist. Ausgenommen davon ist das ererbte und das durch Geschenk erworbene Vermögen. In den vormals sozialistischen Staaten gilt ein ähnliches System, welches dort zur Förderung der Gleichberechtigung der Geschlechter in Bezug auf die Verfügungsbefugnis und vertragliche Gestaltungsmöglichkeiten vielfach immer noch erheblich strenger ist als im Westen. Im deutschsprachigen Raum und einigen skandinavischen Ländern gilt die Gütertrennung mit Ausgleich des während der Ehe erzielten Zuerwerbs auf schuldrechtlicher Basis nach Scheidung, u.U. auch nach Auflösung der Ehe durch Tod. In England gilt zwar die Gütertrennung, bei Scheidung aber erfolgt eine richterliche Teilung des Vermögens der Eheleute nach freiem Ermessen (property distribution), die auch die künftige Versorgung der Ehegatten berücksichtigen soll. Die vollständige Gütergemeinschaft gilt nur in Südafrika und auf den Philippinen. In den Niederlanden ist sie 2018 in ihrem Umfang auf eine "Errungenschaftsgemeinschaft" geschrumpft worden.
Rz. 195
Große Unterschiede bestehen auch in den Möglichkeiten zur vertraglichen Modifikation des Güterstands. In manchen Rechten gibt es keine (Serbien) oder nur sehr eingeschränkte (Griechenland) Möglichkeiten der Abänderung. In nur noch wenigen Ländern bedarf es der richterlichen Genehmigung von Eheverträgen (Frankreich, früher auch in den Niederlanden) zum Schutz der Familienmitglieder.
II. Rechtliche Grundlagen
1. Internationale Abkommen
Rz. 196
Derzeit einziges für Deutschland einschlägiges Abkommen ist das deutsch-persische Niederlassungsabkommen (siehe Rdn 13). Aus dessen Art. 8 Abs. 3 ergibt sich die Geltung iranischen Rechts, wenn beide Eheleute die iranische Staatsangehörigkeit besitzen und keiner von ihnen zugleich Deutscher oder Flüchtling i.S.d. Genfer Flüchtlingskonvention ist. Die Verordnung währt dem Niederlassungesabkommen gem. Art. 62 Abs. 1 EUGüVO Vorrang vor dem vereinheitlichten europäischen Kollisionsrecht. Eine Rechtswahl gem. Art. 22 EUGüVO scheidet dann aus.
Rz. 197
Das Haager Ehewirkungsabkommen vom 17.7.1905 ist durch Deutschland mit Wirkung zum 23.8.1987 gekündigt worden (siehe Rdn 25). Es gilt zwar formal für davor geschlossene Ehen fort, soweit die Eheleute einem damaligen Abkommensstaat angehörten. Wegen der verfassungswidrigen Verweisung auf das Heimatrecht des Ehemannes in Art. 2 Abs. 1 des Abkommens ergibt sich jedoch wegen der Heranziehung von Art. 220 Abs. 3 EGBGB (siehe Rdn 216) zur Lückenfüllung im Ergebnis nichts anderes als bei Geltung des autonomen IPR.
2. Die Europäische Güterrechtsverordnung (EUGüVO)
Rz. 198
Am 2.3.2016 hat die Europäische Kommission den Vorschlag für eine Verordnung im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts vorgelegt ("EUGüVO"). Diese wurde vom Rat am 24.6.2016 im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit angenommen und ist daher seit dem 29.1.2019 in 19 EU-Mitgliedstaaten (vgl. dazu Rdn 10) anwendbar. Die EUGüVO regelt neben verfahrensrechtlichen Aspekten, wie die internationale Zuständigkeit der Gerichte, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Anerkennung öffentlicher Urkunden und gerichtlicher Vergleiche, auch die kollisionsrechtlichen Fragen des internationalen Güterrechts.
Rz. 199
Die Bestimmung des anwendbaren Rechts erfolgt nach den in Frankreich von Charles Dumoulin zu Beginn des 16. Jahrhunderts entwickelten Grundsätzen, die auch den Inhalt der Haager Güterrechtskonvention von 1978 bilden und in gewisser Weise auch Art. 15, 14 EGBGB entsprechen. Art. 26 Abs. 1 EUGüVO enthält zur Bestimmung des Güterstatuts eine Anknüpfungsleiter für alle Fälle, in denen die Eheleute das anwendbare Recht nicht ehevertraglich vereinbart haben. Diese führt
1. |
zunächst zur Geltung des Rechts des Staates, in dem die Ehegatten nach der Eheschließung ihren ersten gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt hatten. |
2. |
Haben sie einen solchen nicht binnen kurzer Zeit nach der Eheschließung begründet – diese Fälle dürften in der Praxis selten sein – gilt das Recht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit beide Ehegatten zum Zeitpunkt der Ehe... |