Prof. Dr. Rainer Deininger
Rz. 121
Nach dieser durch das SEStEG vom 13.12.2006 eingeführten Vorschrift zur gegenständlichen Entstrickung begründet die einkommensteuerliche Beschränkung (z.B. bei DBA mit Anrechnungsmethode oder bei Fehlen eines DBA) oder der Ausschluss (z.B. bei DBA mit Freistellungsmethode) des Besteuerungsrechts der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit einem Wegzug (ohne Veräußerung oder Entnahme) die Fiktion einer Entnahme.
Rz. 122
Nach der Gesetzesbegründung zum SEStEG soll diese Vorschrift lediglich eine Klarstellung der bisherigen Rechtsprechung sein, womit insbesondere die rückwirkende Anwendbarkeit ab 2006 begründet wird. Dem ist nicht zu folgen. Vielmehr gab es bis zur Einführung dieser Vorschrift durch das SEStEG keinen allgemeinen Entstrickungsgrundsatz. Die Verwaltung musste in der Vergangenheit das Vorliegen der Voraussetzungen der leges speciales § 4 Abs. 1 S. 2 EStG (Entnahme) oder § 16 Abs. 3 EStG (Betriebsaufgabe) darlegen, um in Fällen des Wegzugs zu einer Besteuerung zu kommen.
Rz. 123
Rechtsfolge der Vorschrift ist grundsätzlich die sofortige Besteuerung der stillen Reserven, ohne dass es zu einer Veräußerung kommt. Insbesondere die Überführung eines Wirtschaftsguts von einem inländischen Betrieb in eine ausländische Betriebsstätte soll demnach eine fiktive Entnahme im Sinne der Vorschrift darstellen, falls der Gewinn der ausländischen Betriebsstätte aufgrund DBA von der deutschen Besteuerung freigestellt oder die ausländische Steuer im Inland anzurechnen ist.
Rz. 124
Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 1 Hs. 2 EStG ist als Entnahmewert jedoch nicht wie üblich auf den Teilwert abzustellen, sondern auf den gemeinen Wert. Nach § 9 Abs. 2 S. 1 BewG wird der gemeine Wert durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des (einzelnen) Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Demgegenüber ist der Teilwert nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Betriebs im Rahmen des Gesamtpreises für das einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde, wenn er den Betrieb fortsetzen würde. Der Gesetzgeber verspricht sich mit dem Abstellen auf den gemeinen Wert einen im Vergleich zum Teilwert höheren Wert, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. Hier heißt es, dass der gemeine Wert auch einen Gewinnaufschlag enthalten soll.
Rz. 125
Da der Gesetzgeber aus der de Lasteyrie-Entscheidung des EuGH erkannt hat, dass die Besteuerung ohne tatsächliche Realisation europarechtlich problematisch ist, hat er für Wegzüge innerhalb der EU mit § 4g EStG die Schaffung eines Ausgleichspostens und die damit verbundene zeitlich gestreckte Besteuerung des fiktiven Entnahmegewinns gestattet. Auf unwiderruflichen Antrag eines unbeschränkt Steuerpflichtigen hin kann nach § 4g Abs. 1 EStG ein wirtschaftsgutbezogener Ausgleichsposten gebildet werden. Die Höhe dieses Ausgleichspostens beläuft sich nach § 4g Abs. 1 S. 1 EStG auf die Differenz zwischen gemeinem Wert und Buchwert des Wirtschaftsguts. Anschließend ist der Ausgleichsposten nach § 4g Abs. 2 S. 1 EStG grundsätzlich im Wirtschaftsjahr der Bildung und in den vier folgenden Wirtschaftsjahren zu je 1/5 gewinnerhöhend aufzulösen. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Wirtschaftsgut abnutzbar oder nicht abnutzbar ist, welche Restnutzungsdauer besteht oder ob sich in den fünf Jahren Wertminderungen einstellen. Damit kann der Steuerpflichtige also eine partielle Stundung der Steuer auf die stillen Reserven erreichen, wobei die gestundete Steuer jedes Wirtschaftsjahr um 1/5 abnimmt. Aufgrund der Ausgestaltung als Ausgleichsposten, der sukzessiv aufzulösen ist, und nicht als Stundung per definitionem dürfte die Erhebung von Zinsen nach § 234 AO ausscheiden.
Rz. 126
Aus folgenden Gründen kommt es nach § 4g Abs. 2 S. 2, Abs. 5 EStG sofort zur gewinnerhöhenden Auflösung des Ausgleichspostens:
▪ |
bei Ausscheiden des Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen, |
▪ |
bei Überführung des Wirtschaftsguts in ein Betriebsvermögen außerhalb der EU, |
▪ |
wenn die stillen Reserven des Wirtschaftsguts im Ausland aufzudecken sind oder aufzudecken gewesen wären oder |
▪ |
bei Verletzung der Aufzeichnungs- und Mitwirkungspflichten des Steuerpflichtigen. |
Wird das Wirtschaftsgut innerhalb der fünf Jahre Stundungszeitraum "repatriiert", ist nach § 4g Abs. 3 S. 1 EStG der entsprechende Ausgleichsposten erfolgsneutral aufzulösen und das Wirtschaftsgut mit den fortgeführten Anschaffungskosten, jedoch erhöht um die zwischenzeitlich gewinnerhöhend berücksichtigten Auflösungsbeträge und um den Unterschiedsbetrag zwischen Rückführungswert und ausländischem Buchwert, maximal jedoch mit dem gemeinen Wert, anzusetzen.