Prof. Dr. Rainer Deininger
a) Sachverhalt
Rz. 117
Am 22.1.1997 verlegte N seinen ständigen Wohnsitz von den Niederlanden in das Vereinigte Königreich. Zum Zeitpunkt seines Wegzugs aus den Niederlanden war er alleiniger Gesellschafter von drei Gesellschaften nach niederländischem Recht (B.V.), deren tatsächliche Geschäftsführung sich seit dem Wegzug von N auf Curacao (Niederländische Antillen) befindet. Auf Antrag von N wurde die Einkommensteuer für das Jahr 1997 gestundet. Gemäß der für diesen Zeitraum anwendbaren nationalen Regelung wurde die Stundung jedoch von der Leistung von Sicherheiten abhängig gemacht. N verpfändete daraufhin die Anteile an einer der Gesellschaften, deren Alleingesellschafter er war.
Nach Erlass der vorbesprochenen Entscheidung des EuGH i.S. de Lasteyrie du Saillant teilte die Finanzverwaltung N mit, dass er die von ihm geleistete Sicherheit als freigegeben betrachten könne.
b) Entscheidung des EuGH
Rz. 118
Der EuGH stellt zunächst – entgegen der Ansicht der Generalanwältin – klar, dass die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43 EG im vorliegenden Fall einschlägig ist, obwohl N die Geschäftsführung nicht selbst ausübte. Durch die Niederlassungsfreiheit wird auch die nicht ausgeübte Einflussnahme auf die beherrschte Gesellschaft geschützt.
Rz. 119
Die niederländische Wegzugsbesteuerung beschränkt die gemeinschaftsrechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit i.S.v. Art. 43 EG in mehrfacher Hinsicht. Zwar verwehrt sie den niederländischen Steuerpflichtigen den Wegzug nicht komplett, jedoch ist sie geeignet, den Wegzug zu behindern. Zum einen sei das Erfordernis der Bestellung einer Sicherheit beschränkend, zum anderen auch der Umstand, dass nach Wegzug eintretende Wertminderungen nicht mehr steuermindernd berücksichtigt werden können. Ebenso stelle auch der Zwang zur Abgabe einer Steuererklärung bei Wegzug zur Festlegung der Bemessungsgrundlage ein beschränkendes Moment dar, das einen nur innerhalb der Niederlande Umziehenden nicht trifft.
Rz. 120
Auf der Rechtfertigungsebene stellt der EuGH fest, dass die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen zwei Staaten der EU ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel darstellt. Da es keine gemeinschaftsrechtlichen Harmonisierungsmaßnahmen gebe, stehe den Mitgliedstaaten das Recht zu, zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung der Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen. Die Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung bei Wegzug ist nach Ansicht des EuGH hiernach auch gerechtfertigt. Die Stellung einer Sicherheit ist jedoch nicht gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang erinnert das Urteil an die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Fall de Lasteyrie du Saillant, in dem der EuGH ebenfalls die Sicherheitsbestellung ohne Zufluss von Liquidität monierte. Zudem sei die Wegzugsbesteuerung nur zurechtfertigen, wenn auch die nach Wegzug stattfindenden Wertminderungen volle Berücksichtigung fänden.