Prof. Dr. Rainer Deininger
1. Allgemeines
Rz. 138
Dazu kommt die erweitert beschränkte Steuerpflicht nach § 4 Abs. 1 AStG. Dieser Tatbestand kommt i.d.R. in einem Fünf-Jahres-Zeitfenster zur Anwendung, nämlich zwischen dem Ablauf der erweitert unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b ErbStG nach fünf Jahren nach dem Wegzug und der in § 2 AStG festgelegten 10-Jahres-Periode. Gibt der Steuerpflichtige die deutsche Staatsangehörigkeit während des Zeitraums der erweitert unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG auf, unterliegt er nur noch der Besteuerung nach § 4 AStG.
Rz. 139
Die erweitert beschränkte Erbschaftsteuerpflicht tritt ein bei gleichzeitigem Vorliegen der erweitert beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 AStG und der beschränkten Erbschaftsteuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. In diesem Fall tritt die Steuerpflicht über den dort bezeichneten Umfang hinaus für alle Teile des Erwerbs ein, deren Erträge bei unbeschränkter Einkommensteuerpflicht nicht ausländische Einkünfte i.S.v. § 34c Abs. 1 EStG wären, sog. erweitertes Inlandsvermögen. Damit werden über die in § 121 BewG genannten hinaus u.a. auch folgende Wirtschaftsgüter erfasst: Kapitalforderungen gegen Schuldner im Inland; Spareinlagen und Bankguthaben bei Geldinstituten im Inland; Aktien und Anteile an Kapitalgesellschaften, Investmentfonds und offenen Immobilienfonds sowie Geschäftsguthaben bei Genossenschaften im Inland; und Ansprüche auf Renten und andere wiederkehrende Leistungen gegen Schuldner im Inland.
2. EuGH-Rechtsprechung: Das Urteil in Sachen van Hilten
Rz. 140
In der Rechtssache van Hilten stellte der EuGH überraschenderweise fest, dass das Gemeinschaftsrecht nicht durch eine niederländische Norm verletzt wird, nach der – ähnlich wie § 4 Abs. 1 AStG – der Übergang des Nachlasses eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats, der innerhalb von zehn Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes aus dem betreffenden Mitgliedstaat verstorben ist, grundsätzlich so besteuert wird, als wäre er in dem ersten Staat wohnen geblieben.
a) Sachverhalt
Rz. 141
Frau van Hilten, niederländische Staatsangehörige, verstarb am 22.11.1997. Sie hatte bis Anfang 1988 in den Niederlanden, anschließend in Belgien und seit 1991 in der Schweiz gelebt. Ihr Nachlass bestand insbesondere aus in den Niederlanden, in der Schweiz und in Belgien belegenen unbeweglichen Sachen, aus Kapitalanlagen in Form von in den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika notierten Wertpapieren sowie aus Guthaben auf Bankkonten bei niederländischen und belgischen Tochtergesellschaften in der Europäischen Union ansässiger Banken, wobei diese Tochtergesellschaften die Guthaben auch verwalteten. Ihre Erben wurden zur Erbschaftsteuer veranlagt, die auf der Grundlage von Art. 3 Abs. 1 SW 1956 berechnet wurde. Diese Steuer wurde nach Einspruch, der von vier der Erben eingelegt worden war, aufrechterhalten. Die vier Erben erhoben gegen diese Entscheidung Klage.
Rz. 142
Im Kern ging es um folgende Frage: Ist Art. 56 EG (Kapitalverkehrsfreiheit) dahingehend auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, nach der der Übergang des Nachlasses eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats, der innerhalb von zehn Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes aus dem betreffenden Mitgliedstaat verstorben ist, so besteuert wird, wenn auch unter Befreiung in Höhe der von anderen Staaten erhobenen Erbschaftsteuer, als hätte der Erblasser weiter in diesem Mitgliedstaat gewohnt.
b) Entscheidung des EuGH
Rz. 143
Der EuGH hält zum einen fest, dass es sich beim Erwerb von Todes wegen durchaus um Kapitalverkehr im Sinne von Art. 73b EG handelt; ausgenommen sind lediglich die Fälle, die mit keinem ihrer wesentlichen Elemente über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen.
Rz. 144
Dagegen stellt eine nationale Regelung, nach der der Übergang eines Nachlasses eines Angehörigen eines Mitgliedstaats, der innerhalb von zehn Jahren nach Verlegung seines Wohnsitzes ins Ausland verstorben ist, so besteuert wird, als wäre dieser Staatsangehörige im s...