Rz. 69
In vielen Rechtsordnungen wird das Erbstatut nicht einheitlich angeknüpft, also z.B. an Staatsangehörigkeit oder Wohnsitz des Erblassers (Nachlasseinheit), sondern für Immobilien oder gar sämtliche Nachlassgegenstände dem jeweiligen Belegenheitsrecht unterstellt (siehe Rdn 198). Verteilt sich der Nachlass über mehrere Staaten, gelten für die Erbfolge der einzelnen Teile verschiedene Rechtsordnungen (Nachlassspaltung). Hatte der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem solchen Staat, so kann über den Renvoi auch unter Anwendung der EuErbVO eine Nachlassspaltung eintreten, aufgrund derer der Nachlass in rechtlich voneinander unabhängig abzuhandelnde Teile zerfällt (gegenständliche Nachlassspaltung). Zwar hatte es in Frankreich mit der Entscheidung der Cour de Cassation und in Spanien mit mehreren Entscheidungen des Tribunal Supremo zum nationalen internationalen Erbrecht vor Inkrafttreten der EuErbVO Entscheidungen gegeben, wonach die Beachtung eines Renvoi ausgeschlossen ist, wenn dieser zur Nachlassspaltung führt. Für die Interpretation der EuErbVO werden diese Entscheidungen aber nach allgemeiner Ansicht wohl keine Rolle spielen, da diese Rechtsprechung bei Entwurf der EuErbVO bekannt gewesen ist, aber keine ausdrückliche Regelung in den Ausnahmen zur Rückverweisung in Art. 34 Abs. 2 EuErbVO gefunden haben (wie z.B. in Art. 78 § 2 Abs. 2 belg. CODIP).
Rz. 70
Beispiel 3
Der Erblasser war deutscher Staatsangehöriger. Er lebte zuletzt mit seiner Familie in Kalifornien, wo er bei einem Luftfahrzeughersteller in der Flugzeugtechnik tätig war. Vor einigen Jahren hatte er mit seiner Schwester den Großvater beerbt. Der Nachlass enthielt ein in Laatzen belegenes Mietshaus und ein Ferienhaus auf Mallorca. Zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers hatten beide zwei Wohnungen aus dem Mietshaus an die Schwester und das Ferienhaus in Mallorca an den Erblasser jeweils zu Alleineigentum übertragen. In Bezug auf die übrigen Mietswohnungen besteht die Erbengemeinschaft fort.
Rz. 71
In Beispielsfall 3 befand sich der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers offensichtlich in Kalifornien. Daher ist gem. Art. 21 Abs. 1 EuErbVO das in Kalifornien geltende Recht anzuwenden (zur Behandlung der in den USA bestehenden interlokalen Rechtsspaltung siehe Rdn 161). Das kalifornische internationale Erbrecht unterscheidet zwischen beweglichem und unbeweglichem Nachlass. Für die Vererbung beweglicher Nachlassgegenstände gilt das Recht des Staates, in dem der Erblasser zuletzt sein domicile hatte. Das domicile i.S.d. US-amerikanischen Rechts kommt dem gewöhnlichen Aufenthalt i.S.d. EuErbVO sehr nahe. Allerdings kommt dem Bleibewillen (animus manendi) im domicile eine etablierte Rolle zu. Für die Vererbung des unbeweglichen Vermögens gilt dagegen das Recht des Staates, in dem der jeweilige Gegenstand belegen ist.
Rz. 72
Da das domicile des Erblassers i.S.d. kalifornischen Rechts in Kalifornien anzusiedeln war, nimmt das kalifornische IPR die Verweisung hinsichtlich des beweglichen Vermögens an. Für die Rechtsanwendung in Bezug auf das Ferienhaus und die Beteiligung an dem Mietshaus wäre zunächst zu ermitteln, ob es sich hierbei um "Immobilien" i.S.d. kalifornischen Kollisionsnorm handelt.
Rz. 73
Die Auslegung ausländischer Kollisionsnormen erfolgt ausschließlich nach den Regeln des jeweiligen ausländischen Rechts. Das Recht der Common Law-Staaten weist freilich die Besonderheit auf, dass für die Qualifikation eines Gegenstandes als beweglich oder unbeweglich auf Recht des Staates verwiesen wird, in dem dieses belegen ist. Hierbei handelt es sich um eine kollisionsrechtliche Hilfsnorm (auxiliary rule), die ebenfalls eine Verweisung ausspricht (Qualifikationsverweisung). Auch insoweit kann sich daraus für die Qualifikation eine gem. Art. 34 Abs. 1 lit. a EuErbVO beachtliche Rückverweisung (Qualifikationsrückverweisung) ergeben. Für die Frage, ob die Beteiligung an der Erbengemeinschaft, in der sich die Mietwohnungen befinden, unbewegliches Vermögen ist, gelten damit die Regeln des deutschen Rechts. Es kommt also zu denselben Regeln wie für die Bestimmung des "unbeweglichen Vermögens" im Rahmen von Art. 15 Abs. 2 Nr. 3 und von Art. 25 Abs. 2 EGBGB a.F.). Danach wird mittlerweile die Beteiligung an einer Erbengemeinschaft selbst dann als bewegliches Vermögen behandelt, wenn ausschließlicher Gegenstand der Gemeinschaft ein im Inland belegenes Grundstück ist. Für das Alleineigentum an dem Ferienhaus auf Mallorca kann wohl unterstellt werden, dass dieses auch nach dem spanischen Recht als unbewegliches Vermögen zu behandeln ist.
Rz. 74
Damit ergibt sich, dass in Beispielsfall 3 für den beweglichen Nachlass, einschließlich der Beteiligung an der Erbengemeinschaft nach dem Großvater, kalifornisches Recht gilt, für das auf Mallorca belegene Ferienhaus hingegen das spanische Recht.