Rz. 84
Die Unterstellung der Erbfolge unter das am gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers geltende Recht war aus politischen Gründen vorgegeben. Es sei hier dahingestellt, ob die Vorteile der gefundenen Regelung ihre Nachteile aufwiegen. Es bleibt auf der Ebene des internationalen Erbrechts bei folgenden Schwächen:
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Die Unbestimmtheit des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts, insbesondere die Unsicherheiten in Bezug auf seine Auslegung im Rahmen der EuErbVO, führen dazu, dass in den angeblich besonders begünstigten Fällen der "internationalen Mobilität" häufig keine zuverlässige Aussage darüber getroffen werden kann, wo sich der gewöhnliche Aufenthalt einer Person aktuell befindet. |
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Die Ausweichklausel in Art. 21 Abs. 2 EuErbVO erhöht die Unsicherheiten bei der Anknüpfung weiter. |
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Der Erblasser mag sich trotz seines Aufenthalts in einem Staat weiterhin enger mit dem Recht des Staates verbunden fühlen, aus dem er stammt. |
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Der gewöhnliche Aufenthalt kann wechseln. Anders als bei einem Wechsel der Staatsangehörigkeit wird hier der Wechsel nicht eindeutig wahrgenommen, der Zeitpunkt ist u.U. unklar und der Wechsel den Beteiligten nicht bewusst. Die damit einhergehende Änderung des (hypothetischen) Erbstatuts kann u.U. die gesamte Nachlassplanung zunichtemachen. |
Rz. 85
Die Einführung der Rechtswahl in Art. 22 EuErbVO ist insoweit als Korrektiv zu begreifen, mit dem der Erblasser die Möglichkeit erhält, die Nachteile der Anknüpfung an den gewöhnlichen Aufenthalt zu vermeiden. Freilich kann die Einführung der Rechtswahl diese Korrekturfunktion in der Praxis nur dann übernehmen, wenn die Beteiligten sich rechtlich beraten lassen und ihr Berater so erfahren ist, dass er die Möglichkeiten einer oder gar die Notwendigkeit der Rechtswahl erkennt.
Rz. 86
Nach Publikation des Vorschlags der Kommission zur EuErbVO war von vielen Seiten eine großzügige Ausweitung der Rechtswahlmöglichkeiten gefordert worden. Aus EG 38 EuErbVO ergibt sich, dass sich die einschlägigen Stellen mit der Anerkennung der Rechtswahlmöglichkeit offenbar doch nicht leicht getan haben: "Diese Verordnung sollte es den Bürgern ermöglichen, durch die Wahl des auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen anwendbaren Rechts ihren Nachlass vorab zu regeln. Diese Rechtswahl sollte auf das Recht eines Staates, dem sie angehören, beschränkt sein, damit sichergestellt wird, dass eine Verbindung zwischen dem Erblasser und dem gewählten Recht besteht, und damit vermieden wird, dass ein Recht mit der Absicht gewählt wird, die berechtigten Erwartungen der Pflichtteilsberechtigten zu vereiteln."
Rz. 87
Die Befürchtungen, die Rechtswahl könnte als Instrument der Pflichtteilsumgehung missbraucht werden, haben sich also insoweit durchgesetzt, als man zumindest eine Wahl des Aufenthaltsrechts bei Testamentserrichtung (Fixierung des Aufenthaltsrechts) ausgeschlossen hat. Das ist insoweit realistisch gewesen, als wohl kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass die Reduzierung der Pflichtteilslast in der Praxis voraussichtlich der bedeutendste Faktor bei der Entscheidung sein wird, ob und wie die Rechtswahl ausgeübt werden soll.